Bombenalarm im AKW

ATOMKRAFT Frankreichs älteste Atomanlage muss evakuiert werden. Streiks in anderen AKWs gehen unvermindert weiter

Waren es die Streikenden? Der Anti-Atom-Protest? Klimaschützer? Die Direktion?

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Aufregung in Frankreichs ältestem Atomkraftwerk Chinon: Die Polizisten und Soldaten, die die 155 Hektar große Atomanlage am Ufer der Loire am Donnerstag mit Hunden durchkämmt haben, fanden keine Bombe. Das meldete die westfranzösische Präfektur Tours.

Ein Unbekannter hatte am Donnerstagmorgen telefonisch dem Wachposten des AKW Chinon mitgeteilt, eine „Bombe“ befände sich auf dem Gelände. Die Präfektur ordnete umgehend die Evakuierung von 198 Beschäftigten der Anlage an. Nur das für die „vitalen Funktionen“ unabkömmliche Personal blieb im Werk. Den ganzen Tag über kontrollierten Polizisten und Soldaten die Anlage. Am Mittag wurde die Presse informiert. Am frühen Abend kam Entwarnung. Hinweise auf die Identität des Bombendrohers gibt es bislang nicht. Die Ermittler wissen nur, dass er von einer Telefonzelle aus angerufen hat.

Unterdessen geht der Streik der Beschäftigten des AKW weiter. Die Belegschaft – insgesamt 1.200 Menschen – stimmte am Donnerstagabend für eine Fortsetzung des Arbeitskampfes. Auch mehrere andere französische Atomkraftwerke befinden sich im Streik. Ihre Zahl könnte sich in den nächsten Tagen erhöhen. Die Beschäftigten fordern Lohnerhöhungen von 5 Prozent. Die Betreibergesellschaft Électricité de France (EDF), die im vergangenen Jahr 3,4 Milliarden Euro Nettogewinn gemacht hat, will ihnen 0,3 Prozent zahlen.

Die Streikenden wollen erreichen, dass die Mitte April abgebrochenen Verhandlungen wieder aufgenommen werden. Sie wollen nicht länger zusehen, wie über 50 Prozent der Nettogewinne des Konzerns an die AktionärInnen ausgeschüttet werden.

Der Generalsekretär der Mehrheitsgewerkschaft CGT Guy Cleraux, weist darauf hin, dass der Stillstand von zwei Reaktoren in Chinon die Betreiber bereits mehr als 20 Millionen Euro gekostet hat: „Das ist weit mehr als unsere Lohnforderungen.“ Die Bombendrohung verurteilt Cleraux scharf.

Ob die Bombendrohung von Streikenden selbst stammt, darüber wird spekuliert. Denkbar sei, dass sie so die Öffentlichkeit auf ihren zuvor unbeachteten Streik aufmerksam machen wollten. Andere weisen mit dem Finger auf die Direktion, die die Streikbewegung mit einer Bombendrohung diskreditieren wolle. Wieder andere vermuten, dass die Drohung aus dem Kreise von AKW-Gegnern kommt. Auch Klimaschützer kommen in Betracht: Sie argumentieren, dass die AKWs die Energiewende verhindern. Solange das Stromnetz mit Atomstrom voll ist, so lange wird das Netz für den Ausbau der erneuerbaren Energien blockiert. Frankreichs Strom stammt zu 80 Prozent aus AKWs.

Es ist die erste bekannt gewordene Bombendrohung seit der Eröffnung des AKW Chinon im Februar 1957. Die drei Reaktoren der ersten Generation auf dem Atomgelände sind längst vom Netz gegangen. Unter der Kuppel des ersten Reaktors befindet sich heute ein Museum. Daneben sind in den 80er-Jahren vier neue Druckwasserreaktoren in Betrieb gegangen. Sie haben besonders niedrige Kühltürme, um den Schlössern an der Loire und der umliegenden Landschaft nicht die Schau zu stehlen.

Sollte sich der vor mehr als zwei Wochen begonnene Streik fortsetzen und auf andere AKWs ausweiten, wird es teuer für EDF. In den kommenden Wochen werden die Reaktoren routinemäßig abgestellt und gewartet. Streiks verzögern diese Wartungsarbeiten und stoppen die Energieproduktion.

Mitte Januar hatten die französischen AtomarbeiterInnen schon einmal gestreikt. Damals beteiligten sich alle AKWs an dem eintägigen Ausstand. Es ging um den zweiten – inzwischen erfüllten – Teil des Forderungspaketes: Neueinstellungen auf allen Ebenen der Atomwirtschaft. Angesichts einer ungünstigen Alterspyramide – sowohl bei den Beschäftigten von EDF als auch bei den Subunternehmen, die einen ständig wachsenden Teil der Arbeiten erledigen – gehen in den nächsten fünf Jahren rund 50 Prozent der Atombeschäftigten in die Rente. Anstatt vorausschauend neue Fachleute einzustellen, hat EDF seine Beschäftigtenzahl im Zuge der Privatisierung des Energiekonzerns reduziert. Zugleich ist das Arbeitsvolumen in den AKWs wegen neuer Sicherheitsauflagen ständig gestiegen. Nach dem eintägigen Streik im Januar hat EDF zugesagt, in den nächsten drei Jahren mehr Personal einzustellen, als in den Ruhestand gehen wird.