Geschlossene Türen

Concept Art des kleinen Mannes: Der Bremer Fotograf und Keramiker Gustav Brauer ist tot. Seine Plakate hängen in den Büros und Wohnküchen der halben Welt: Berühmt sind seine Porträts europäischer Hauseingänge von Irland bis in die Toscana

Brauers Collagen sind das naive Gegenstück zu Bernd und Hilla Bechers strengen Fotoserien

Kritik mochte er nicht. Kaum hatte sich, auf seine telefonische Nachfrage hin, eine Negativrezension des Büchleins aus seiner Edition angedeutet, kam Gustav Brauer auch schon die Treppen zur Redaktion hoch gestapft. „Nicht so gut gefallen – das brauchen wir nicht“, sprach’s und ließ sich den Band aushändigen. Sehr direkt, dieser Mann.

Wozu aber bräuchte jemand, der so selbstkritisch ist, noch Nörgeleien von anderen? „Wenn er seine Dias sichtete“, erinnert sich seine Frau, Nora Becker-Alvarez, „dann hatte er stets in der rechten Hand eine Schere.“ Ein Foto das nicht sofort überzeugte – ratsch, weg: in den Papierkorb. Das gleiche als Keramiker: Die Figuren formte er im Schnoor, der Ofen stand in Worpswede. Nach dem Brand wurde gesichtet – mit dem Hammer in der Hand.

Gustav Brauer, geboren 1946 in München, ist tot. Morgen wird er auf dem Riensberger Friedhof beigesetzt – die Trauerfeier beginnt um 13 Uhr. Der Name sagt Ihnen nichts? Dabei war Gustav Brauer der erfolgreichste Bremer Fotodesigner. Nur achten Postkarten- und Plakatkäufer selten auf den Verlag. Aber vielleicht kennen Sie ja die Poster mit den vielen, vielen Türen? Die „Doors of Ireland“ etwa, oder die „Porte Toscane“ oder die Bildserie „Hanseatische Bürgerhäuser in Bremen“?

Na also: Die sind alle von Brauer. Bei der Mallorca-Serie ist sogar unten links ganz klein ein Porträtfoto von ihm zu sehen. Vielleicht, weil es Brauer nervte, dass die Touristen den Verlagsladen in seinem Hutzelhaus im Schnoor für einen ollen Postershop hielten.

Brauers Collagen sind das naiv-verspielte Gegenstück zu Bernd und Hilla Bechers strengen Fotoserien – Concept Art für Kinder. Die Idee bei beiden: Je eine regionale bauliche Besonderheit in etlichen Beispielen festzuhalten. Nur haben die „Typologien industrieller Bauten“ der Bechers ihren Platz im Guggenheim Museum, in der Tate Gallery oder im Archiv für Künstlerpublikationen der Weserburg. Brauers Poster hingegen hängen seit den 80er-Jahren in jeder zweiten Wohnküche, beim Arzt im Wartezimmer, oder im Büro. Und wo jene schwarz-weiß in spartanischer Kühle die virtuelle Grundform anhand ihrer Variationen aufscheinen lassen und – hochphilosophisch – das abstrakte Spiel von Identität und Differenz ausloten, hat Brauer nach der Vielfalt gesucht: Farbigkeit und Leben. Und das auch noch im Unscheinbaren: Wer achtet schon auf Türen.

„Er wollte“, erzählt Nora Becker-Alvarez, „nur das Schöne multiplizieren.“ In der Tat sind seine Arbeiten nie verstörend. Aber einfach bloß niedlich sind sie auch nicht. Sie basieren auf intensiver Recherche: Aus 500 Aufnahmen filterte er die 30 Bilder heraus, die, so die Witwe, „den Charakter der Landschaften erfassten.“ Wohl auch in der Ahnung von dessen Vergänglichkeit: Die „Porte Toscane“ etwa, schon über 20 Jahre im Handel: Das sind rissige, abgesplitterte, manchmal verrammelte und vernagelte Türen. In Wirklichkeit ist deren Melancholie schon lange wegrenoviert. Nichts anderes gilt für seine Schnoor-Serie: Die Aufnahmen zeigen ein Kunsthandwerker-Viertel, wo Atelier – bei ihm selbst war’s der winzige Keller, kaum 10 Quadratmeter groß – Laden und Wohnung ineinander übergingen. Gustav Brauer hat, als einer der Letzten, in diesem Bild gelebt.

Benno Schirrmeister