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Archiv-Artikel

Von bitteren Karrieren und großer Armut

Die Initiative „Einspruch gegen Hartz IV“ hat sich gestern verabschiedet. Aber sie will nicht aufhören, sich einzumischen

Von sgi

Bremen taz ■ Während in Berlin die Politiker zufrieden tun ob der erreichten Kompromisse im Vermittlungsausschuss, während das Finanzressort die Folgen der Hauptstadt-Beschlüsse für Bremen noch nicht beziffern kann, während all dem hat sich gestern jemand verabschiedet: Die Initiative „Einspruch gegen Hartz IV“ hat sich für beendet erklärt.

2.000 Menschen, darunter viele Landtagsabgeordnete in der ganzen Republik, haben den im September aus Bremen gestarteten Einspruch gegen die Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Bundesregierung unterzeichnet. Insbesondere protestierten sie gegen die im Hartz-IV-Gesetz geregelte Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf dem Niveau der letzteren und die Zumutbarkeitsgrenzen bei anzunehmenden Jobs. „Das entscheidende Problem wird nicht im Mangel an Arbeitsplätzen und deren fairer Verteilung, sondern bei den Arbeitslosen selbst verortet“, heißt es in dem Text, dessen 24 Bremer Erstunterzeichner, darunter die Professoren Adelheid Biesecker, Jürgen Blandow oder Helmut Spitzley, die Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe oder VHS-Chefin Barbara Loer, sämtlich mit der Beratung oder Vertretung Arbeitsloser zu tun haben. Die Bremer hatten über ihre E-Mail-Verteiler eine Lawine in Gang gesetzt. Aber jetzt ist Schluss.

„Unser Ziel, die verfehlte Grundphilosophie des Gesetzes zu ändern, haben wir nicht erreicht“, resümiert Jürgen Seippel, Leiter des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt. Dass das Wenige, was die SPD-Abweichler an Zumutbarkeitsbedingungen noch in den Gesetzestext drücken konnten, an diesem Wochenende sang- und klanglos wieder gekippt wurde, „bedauern wir sehr“, so die Einspruch-Leute. Und sie bedauern, dass –noch – so wenigen klar ist, was da zu bedauern ist: „Der Elektroinstallateur, der länger als ein Jahr arbeitslos ist“, formulierte Barbara Loer ein bald vielleicht klassisches Beispiel, „ muss künftig jede, aber auch jede Arbeit annehmen.“ Heißt: Putzen, Fegen, Fritten verkaufen. Und weil das Geld für Weiterbildung ebenfalls reduziert wird, wird ein solcher Mann auch keine Möglichkeit haben, sich in seinem erlernten Beruf auf dem Stand der Technik zu halten. „Der wird ein für alle Mal dequalifiziert. Und er bleibt es auch“, sagt Loer, die „ganz offen“ erklärt: „Ich als Chefin würde so jemanden auch nicht einstellen.“ Die Folge dieser und anderer Karrieren: Armut. So sehr und so viel mehr, „wie wir uns das überhaupt nicht vorstellen können.“

Die Alternative für die Einsprüchler: eine faire Verteilung von Arbeit, „kurze Vollzeit für alle“. Hartz IV hat der Einspruch nicht erreicht, aber die Initiatoren planen weiter: „Gemeinsam, bundesweit und öffentlich“ wollen sie „die Möglichkeiten einer Arbeitsmarktpolitik diskutieren, die diesen Namen verdient.“ sgi