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Archiv-Artikel

„Du“ kann eine Beleidung sein

Weil er einen Polizisten geduzt hat, soll der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu 2.000 Euro Strafe zahlen. Die zweite Person Singular bedeutet im Umgang mit der Ordnungsmacht eine Herabsetzung

VON PLUTONIA PLARRE

Wer als Türke in Kreuzberg aufgewachsen ist, weiß, dass „du“ zur Umgangssprache gehört, wenn Polizisten und Migranten aufeinandertreffen. Weiß, dass beide Seiten sich mit Du anreden und dass das Wort weniger Ausdruck von Freundlichkeit, denn von Geringschätzung ist. Neu ist in Berlin allerdings, dass das Duzen eines Polizeibeamten 2.000 Euro kosten kann. So im Fall des grünen Abgeordneten Özcan Mutlu, der gestern vom Amtsgericht Moabit verurteilt wurde.

Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Berliner Grünen, ist ein Heißsporn. Wenn die Emotionen mit ihm durchgehen, kann es vorkommen, dass der Abgeordnete in gediegenem Anzug und weißem Hemd wieder zu dem wird, was er einmal war: ein Kind der Kreuzberger Straßen. Dann kann es vorkommen, dass Mutlu einen Polizisten mit Du anschnauzt, weil er sich schikaniert fühlt.

So offenbar auch am 11. Oktober 2001 vor der Kreuzberger Aziz-Nessin-Grundschule. Um 16 Uhr sollte Bundespräsident Johannes Rau dort zu einer Veranstaltung eintreffen. In seiner Eigenschaft als Mitglied des Schul-Fördervereins wollte Mutlu den Präsidenten an der Tür empfangen. Aber der grüne Abgeordnete hatte sich verspätet. Als er in großer Eile mit seinem Pkw in den Schulhof einbog und dort wie üblich parken wollte, wurde er von dem Polizeihauptmeister Andreas G. aufgehalten. Er möge sein Fahrzeug auf der Straße abstellen, wurde Mutlu angewiesen. Nach kurzer Diskussion drehte der Abgeordnete um und stellte seinen Wagen an der gegenüberliegenden Straßenecke im absoluten Halteverbot ab. Als er in großen Schritten in Richtung Schule stürmte, wurde er von dem Beamten erneut aufgehalten, auf das Parkverbot hingewiesen und nach seinen Papieren gefragt. „Wohlwissend, dass ich in der Schule erwartet werde, hat er sich ganz genüsslich Zeit gelassen“, sagte Mutlu gestern als Angeklagter vor Gericht. „Was bildest du dir ein“, sei es ihm da entfahren. Als sich der Beamte das Du verbat, habe er sich sofort entschuldigt. Das Wort sei nicht beleidigend gewesen, sondern nur so rausgerutscht. „Ich duze mich in der Regel in meiner Partei und mit meinen Bekannten“, so Mutlu. Inzwischen kündigte der Beamte an, Mutlus Pkw abschleppen zu lassen, erzählte der Angeklagte gestern. „Sie werden mit dieser Schikane nicht verhindern, dass wir unseren Platz in der Gesellschaft haben“, will der Angeklagte daraufhin zu dem Polzisten gesagt haben.

Eigentlich hatte der Beamte G. an dem Tag den Auftrag, die Zufahrtswege zu der Schule für den Bundespräsidenten frei zu halten. Als Zeuge vor Gericht stellte er den Vorfall gestern so dar, dass Mutlu ihn „permanent“ geduzt habe. „Es wird Zeit, dass Schwarzköpfe wie wir in die Parlamente kommen“, habe Mutlu gerufen. Was habe es für den Bundespräsidenten für eine Rolle gespielt, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Auto falsch geparkt war, wollte Mutlus Verteidiger Wolfgang Kaleck wissen. Auf Fragen wie diese reagierte der Beamte mit verhaltener Aggressiviät. „Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie der Beamte vor Ort reagiert haben muss, wenn er seine Emotionen nicht einmal im Gerichtssaal im Griff hat“, war für Kaleck klar. Er ist sich sicher, dass nicht Mutlu, sondern der Polizist für die Eskalation die Verantwortung trägt. Der Polizist sei nicht „von ruhigstem Gemüt beseelt“, befanden auch der Staatsanwalt und das Gericht. Mutlu sei aber trotzdem zu verurteilen, weil er den Beamten durch das Duzen „herabgesetzt“ habe.

Der Angeklagte kündigte gegen das Urteil Rechtsmittel an.