: Geheimhaltung ersetzt das Konzept
Wie unsicher deutsche Atomkraftwerke laut einer Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit bei einem Terroranschlag sind, soll die Öffentlichkeit nicht wissen: Das Umweltministerium hält das Papier unter Verschluss. Atomkritiker sind empört
AUS MÜNCHEN KLAUS WITTMANN
Eine geheim gehaltene, brisante Studie der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) kommt zu dem Schluss, dass beim Absturz eines Flugzeuges und auch nur beim Aufprall von Flugzeugteilen auf ein Atomkraftwerk verheerende Folgen zu befürchten seien. Konkret auf den 26 Jahre alten Siedewasserreaktor Isar 1 in Ohu bezogen heißt dies: Wenn auch nur ein Triebwerk eine Reaktorwand durchdringen und einen Brand auslösen würde, wäre die Beherrschung des atomaren Ernstfalles fraglich.
Dass Terroristen so eine Situation absichtlich herbeiführen könnten, war bei der Inbetriebnahme nicht für möglich gehalten worden. Doch genau ein solches Szenario gab es beim Terrornetzwerk al-Qaida bereits, mahnt die Greenpeace-Atomexpertin Susanne Ochse. „Kurz vor dem 11. September haben sie Abstand davon genommen, AKWs anzugreifen, obwohl es zur Diskussion stand. Und es gibt nicht nur al-Qaida!“
Der Sprecher des Bundesumweltministeriums, Michael Schroeren, bestätigte, dass die Studie existiert und geheim gehalten wird. Der Forschungsbedarf sei „erkannt und aufgearbeitet“ worden. Man habe den Länderaufsichtsbehörden das Papier zugestellt – „mit der Maßgabe, es mit den Betreibern zu erörtern“.
Passiert ist danach bislang wenig bis nichts. Unklar ist zum Beispiel, was geschieht, wenn zur mechanischen Auswirkung eines Aufpralls auch noch ein Brand mit vielen tausenden Litern brennendem Kerosin kommt. Davor hatte nach dem 11. September 2001 der damalige Chef der Reaktorsicherheitskommission Lothar Hahn gewarnt (taz vom 15. 9. 2001). Heute ist Hahn Chef der GRS, die die Studie erstellt hat. Äußern dürfe er sich dazu nicht, sagte er auf Anfrage, „denn die Studie ist geheim“.
Diese Geheimhaltung kritisiert auch Ruth Paulig, umwelt- und energiepolitische Sprecherin der bayerischen Landtagsgrünen. Sie macht ihre Kritik am Alt-Reaktor Isar 1 fest und fordert vom bayerischen Umweltminister Werner Schnappauf (CSU) Konsequenzen. Der freilich verweist an Pauligs Parteikollegen Jürgen Trittin und das von ihm geführte Bundesumweltministerium (BMU). Ohne inhaltlich auf die Kritik einzugehen, fordert Schnappauf das BMU auf, „zum Schutz vor terroristischen Flugzeugangriffen ein übergreifendes Gesamtkonzept zu entwickeln“.
Das BMU kontert, der Auswertungsprozess sei „ein bilateraler Prozess zwischen Länderaufsicht und Betreiber“. Die Betreiber ihrerseits sehen bei Terrorattacken den Bund in der Pflicht. Und so bleibt in einer elementaren Sicherheitsfrage nur eines: ein Hin- und Herschieben des schwarzen Peters.
Dabei besteht nach wie vor Gefahr – nicht nur bei einem möglichen Absturz auf das Reaktorgebäude. Nicht weniger gefährlich sei es, wenn bei einem Siedewasserreaktor, wie beispielsweise beim größten deutschen Atomkraftwerk Gundremmingen, die Hauptkühlleitung getroffen würde, heißt es in der Studie. Genau darauf hatte Hahn schon kurz nach den Terroranschlägen in New York hingewiesen: dass nicht nur der Reaktor selbst, sondern auch Anlagenteile höchst gefährdet seien.
Die Geheimstudie der GRS stuft die Gefahr für die Reaktoren allerdings unterschiedlich hoch ein. Das jüngere AKW Gundremmingen beispielsweise sei weniger gefährdet als das ältere Atomkraftwerk Isar 1. Anders als Isar 1 laufe es erst beim Absturz einer großen Passagiermaschine mit einer Geschwindigkeit von über 630 km/h Gefahr, unbeherrschbar zu werden. Als „Lastfall AVN“ wird das in der besagten Studie bezeichnet.