: Nicht ganz so doll
Der HSV verliert Heimspiel gegen Hannover 96 mit 0:2. Dafür ist auch das Thema Uefa-Cup erst mal vom Tisch
HAMBURG taz ■ Es lief bereits die 19. Spielminute, als der Stadionsprecher seine zweite Chance bekommen sollte. Soeben hatte Hannovers Spieler mit der Nummer 6 das 0:1 erzielt, nun war es an ihm, den 50.000 Zuschauern den Namen des Schützen zu nennen. Steve Cherundolo lautet der, doch aus den Boxen der AOL-Arena tönten Silben, die nur entfernt an den Namen des 25-Jährigen erinnerten. Ein gewisser „Cha-ren-da-lu“ wurde als Torschütze präsentiert. Denjenigen, die es besser wissen, nämlich den freudentaumelnden Hannover-Fans, war es mittlerweile egal. Schon beim Verlesen der Aufstellungen vor Spielbeginn mussten sie eine andere, nicht weniger lustige Variante verkraften.
Die Kreativität, die der Mann am Mikrofon dem Namen des Hannoveraner Verteidigers unfreiwillig zukommen ließ, ging der Heimmannschaft auf dem Rasen indes völlig ab. Der inzwischen erfolgsverwöhnten Truppe von Trainer Thomas Doll fehlten über 90 Minuten die Ideen, gegen die hervorragend organisierte Defensive der Hannoveraner anzuspielen. Die erwarteten die Hamburger eng gestaffelt in der eigenen Hälfte, um es dann dank kaltblütiger Kurzpässe zu zwei Chancen und zwei Toren zu bringen. Somit hatte Hannover mit dem 2:0-Auswärtserfolg – Daniel Stendel erzielte in der 59. Minute Tor Nummer zwei – dem HSV den Tabellenplatz weggeschnappt, von dem die europapokalgeile Hamburger Öffentlichkeit nach der kleinen Erfolgsserie unter Neucoach Doll mal wieder geträumt hatte.
Dolls Mannschaft wusste das ganze Spiel über mit ihrem Ballbesitz wenig anzufangen, sodass das einzig vermeintlich Kreative weiterhin vom Stadionsprecher kam. Als Gästetrainer Ewald Lienen Stürmer Mohammadou Idrissou einwechselte, wurde dieser als „Mohammad“ vorgestellt. Zum Glück für den Stadionsprecher traf besagter „Mohammad“ bei einem Konter nur den Pfosten. Tatsächlich präsentierte sich Hannover über 90 Minuten so überzeugend, dass Lienen hinterher vom besten Auswärtsspiel der Saison sprechen sollte. Dass seine Mannschaft inzwischen so erfolgreich spielt, liegt an einer wesentlichen Erkenntnis des Trainers: „Es geht nicht darum, eine Fußballphilosophie zu haben und diese einer Mannschaft überzustülpen. Es geht vielmehr darum, zu gucken, was ich mit einem Kader für Möglichkeiten habe, was ich mit ihm für Fußball spielen kann.“ Lienen hat in Hannover ein System gefunden, dass die Qualitäten des Kaders nahezu perfekt ausreizt.
Die Abwehr um Nationalspieler Per Mertesacker hat bisher die wenigsten Gegentore aller Bundesligavereine zugelassen, in Hamburg gewann der 20-Jährige 80 Prozent seiner Zweikämpfe. Im Mittelfeld sorgen Altin Lala und Julian de Guzman mit aggressiver Spielweise dafür, dass Regisseur Nebojsa Krupnikovic sich in der Offensive voll entfalten kann. Ihr Trainer weiß das zu schätzen: „Man hat fast keine Worte, wie super die beiden verteidigen.“ Im Angriff spielt Daniel Stendel mit 30 Jahren den Fußball, den er in seiner Zeit beim Hamburger SV noch vermissen ließ. Der Erfolg Hannovers ist das Produkt einer notwendigen Strategie, die das System über den Einzelspieler stellt. Vielleicht hatte der Stadionsprecher auch deshalb seine Probleme mit den einzelnen Spielernamen. Denn die als vermeintliche Stars von Manager Kaenzig geholten Sousa, Leandro und Wallner wurden von Lienen auf die Bank bugsiert – und durch dievermeintlich gescheiterte Krupnikovic-Bande ersetzt.
In Hamburg reifte nach dem Spiel die Erkenntnis, dass der HSV noch nicht da angekommen ist, wo ihn die Fans und die Medien mit jedem Sieg mehr hinbugsieren wollten. Dennoch ist von einem Rückfall in die Erfolglosigkeit der ersten Spieltage keine Rede. „Das wird uns nicht umhauen“, stellte Doll fest; insgeheim dürfte er sich freuen, dass er vorerst nicht mehr jeden Tag Fragen nach dem Uefa-Cup beantworten muss. Dass der HSV nämlich immer dann schwächelt, wenn das Unwort die Runde macht, ist auffällig.
In Hannover besteht diese Gefahr nicht. Dafür wird Lienen sorgen, der auf die Frage, in welche Höhen Hannovers Weg noch führen könne, antwortet: „Wenn man anfängt hochzurechnen, ist das ein Schritt in die falsche Richtung. Dann hört man auf zu arbeiten.“ HENDRIK TERNIEDEN