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Archiv-Artikel

Die 16 deutschen Zwerge im Europakrieg

Mit aufwändigen Botschaften in Brüssel betreiben die Bundesländer ihre eigene Außenpolitik. Das schadet deutschen Interessen, meint die Regierung in Berlin, und will das Grundgesetz ändern. Doch Stoiber, Steinbrück und Co. wehren sich

AUS BRÜSSEL STEPHANIE LOB

Gerade erst hat es sich Bayern-Chef Edmund Stoiber in Brüssel so richtig bequem gemacht, da droht ihm und den anderen Landesfürsten Ungemach aus Berlin. Denn die prächtigen Vertretungen der Bundesländer in der EU-Hauptstadt, allen voran Stoibers gerade eröffnetes „Schloss Neuwahnstein“ direkt neben dem Europaparlament, sind dem Bund nicht geheuer. Die Regierung fürchtet, dass ihr die Länder den Rang in Brüssel ablaufen, und pocht auf Alleinvertretung. Allerdings geht es dabei weniger um Prestige als um knallharte Machtpolitik. Und nicht zuletzt um den Zugriff auf milliardenschwere EU-Fördertöpfe.

„Europatauglichkeit“ fordert der Bund ein. Mit diesem Schlagwort ist die fünfseitige Begründung zur geplanten Änderung des Artikels 23 Grundgesetz überschrieben. Der Artikel billigt den Ländern seit 1992 umfassende Mitspracherechte in Brüssel zu – nämlich da, wo sie auch innerdeutsch zuständig sind, etwa bei der Kulturpolitik. Im Zuge der Föderalismusreform will der Bund den Artikel eindampfen und die Länder in der EU-Hauptstadt entmachten. Im Gegenzug sollen sie in Deutschland das alleinige Sagen auf Feldern wie Strafvollzug, Beamtenrecht und Ladenschluss bekommen. Doch Stoiber, Steinbrück und Co. laufen gegen den drohenden Machtverlust in der EU Sturm.

„Deutschland muss in Brüssel mit einer Stimme sprechen“, heißt es in dem Papier des Bundes kämpferisch. Fast babylonische Zustände herrschten derzeit in der EU-Hauptstadt, klagen Fürsprecher der Berliner Regierung.

In dem Stimmengewirr des Bundes und der 16 Länder werde niemand schlau daraus, was eigentlich die deutsche Position sei. „In einigen Fällen haben die EU-Partner das sehr geschickt ausgenutzt“, sagt ein Brüsseler Insider. Die verschiedenen deutschen Interessen seien gegeneinander ausgespielt worden – zum Nachteil der Bundesrepublik. „Die Länder sind es nicht, die den Bund hindern, in Brüssel eine klare Haltung einzunehmen“, sagt dagegen ein Ländervertreter in der EU-Hauptstadt. „Es mangelt vielmehr an einer klaren Position der Bundesregierung.“ In der Tat gibt Rot-Grün bei Themen wie der künftigen EU-Chemiepolitik bisweilen ein konfuses Bild ab.

Da widerspricht ein Statement aus dem Wirtschaftsministerium schon mal einem aus dem Umweltministerium. Nicht selten gipfelt dies in dem, was in Brüssel „German vote“ heißt – einer Stimmenthaltung im Ministerrat. Doch die Länder haben in Brüssel längst ureigene Felder wie die Kulturpolitik verlassen und betreiben massiv Lobbying in eigener Sache. So buhlt Bayern als einzige westdeutsche „Grenzregion“ zu den neuen EU-Staaten um Geld aus den Brüsseler Fördertöpfen, Mecklenburg-Vorpommern mischt bei einer Hafendienstrichtlinie mit, und Nordrhein-Westfalen wird in Sachen Kohle und Stahl aktiv.

Und längst haben die Länder in Brüssel mit knapp 250 Vertretern die ständige Vertretung Deutschlands bei der EU mit ihren 170 Mitarbeitern überrundet. „Die Aufrüstung der Länder in Brüssel ist schon bizarr“, sagt ein Insider. „Brüsseler Politik ist Innenpolitik“, sagt dagegen der Statthalter eines Landesfürsten in der EU-Hauptstadt. Schließlich hätten in Brüssel inzwischen 70 Prozent der bundesdeutschen Gesetze ihren Ursprung.

Noch stehen sich die Interessen von Bund und Ländern unversöhnlich gegenüber. Doch die Zeit drängt: Am 17. Dezember soll die Föderalismuskommission ein Ergebnis präsentieren.

Wie das aussehen könnte, formuliert der Leiter des Berliner Wissenschaftskollegs und Föderalismus-Sachverständige Dieter Grimm. „Man sollte trennen zwischen den Verhandlungen der nationalen Regierungen im Rat in Brüssel und den vorbereitenden Abstimmungen zwischen Bund und Ländern in Berlin“, sagt der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht. Das würde der Bundesregierung in Brüssel einen größeren Spielraum geben, wenn sie mit den inzwischen 24 europäischen Partnern um Kompromisse feilscht.

Grimm schlägt vor, in Artikel 23 des Grundgesetzes nur noch die Grundprinzipien der Zusammenarbeit von Bund und Ländern zu regeln, alles weitere aber in einem ergänzenden Gesetz. „Beide müssten natürlich gleichzeitig beschlossen werden, damit keine Seite Grund zu der Befürchtung hat, sie werde hintergangen“, betont der ehemalige Verfassungsrichter. Eins allerdings dürfte die Länder kaum beruhigen: Sanktionen hätten sie nach diesem Modell nicht, wenn sie ihre Interessen in Brüssel verletzt sähen.