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Archiv-Artikel

Hoch politische Höhlenmalereien

„Paul Klee 1933“: Eine Schau in der Hamburger Kunsthalle, die des Künstlers Gegenwelten untersucht, ohne eine politische Lesart zu forcieren

Man kann sicher sein: Klee konnte es alles lesen. Hätte jede der Zeichnungen exaktest deuten können, die derzeit – es ist die vierte Station der zuvor in München, Bern und Frankfurt/M. gezeigten Schau Paul Klee 1933 – in der Hamburger Kunsthalle zu sehen sind. Die letzte Eröffnung im Rahmen des Projekts „Klee im Norden“, das parallel Bauhaus-Zeit und Spätwerk in Bremen und Hannover präsentiert, war dies außerdem.

80 Bleistift- und Fettkreidezeichnungen sowie einige Ölgemälde sind in der Hamburger Ausstellung versammelt – Bestände aus einem Jahr, in dem Klee, nach hoffnungsvollem Wechsel vom Dessauer Bauhaus an die Kunstakademie Düsseldorf, dort schon im April wieder seiner Professur beraubt wurde. Kurz später emigrierte Klee nach Bern; 1937 wurden seine Bilder als „entartet“ denunziert. Ein besonders produktives Jahr war 1933 trotzdem für Klee; es entstanden 482 Werke, davon 314 Zeichnungen – mehr als je zuvor.

Als Blätter zur „nationalsozialistischen Revolution“ soll Klee dem Bildhauer Alexander Zschokke im Sommer 1933 rund 200 Zeichnungen gezeigt haben – doch welche das gewesen sein könnten, eruierte man erst 1984; auch dies ein Grund für ihre verspätete öffentliche Wahrnehmung. Trotzdem – ambivalent bleibt es, den Fokus einer Schau auf ein einzelnes Jahr zu legen, verengt dies doch den Blick des Betrachters. Andererseits suggeriert die Hängung der Blätter in der Hamburger Kunsthalle eine streng politische Lesart keineswegs, sondern lässt jede Freiheit, eigene Netze zu spinnen. Auch auf thematische Blocks wurde verzichtet.

Doch aller Skepsis zum Trotz finden sich unter den Exponaten natürlich etliche mit Zeitbezug; Titel wie auch „ER“ Dictator, ein kind wird gemessen und auswandern offenbaren dies. Allerdings ist die Trennung in „politisch“ und „unpolitisch“ – etliche Blätter zeigen Liebespaare oder Tiere – nicht der interessanteste Aspekt dieser Schau. Fesselnd ist vielmehr, die Struktur jener Gegenwelt zu erkunden, die Klee damals schuf. Denn letztlich sind es wiederkehrende Typen, die in seinen oft karikaturhaften Zeichnungen erscheinen: Antike Mythologie und Alttestamentarisches sind bevorzugte Metaphern – ein für Klee nicht neuer, 1933 aber doppelt bewusster Rückgriff auf Traditionen, deren Zivilisationsgrad die Nazis mit Vehemenz unterboten.

So ist es durchaus legitim, in der anderen Salome einen SS-Mann zu sehen, der das gelockt-bärtige Haupt – nicht Johannis des Täufers, wohl aber des Andersartigen mit Füßen tritt. Und wenn derselbe Kopf in Zeus ersatz wiederkehrt, geht es wieder um die „neuen Götter“; Klee zeichnet hier einen eitlen Hahn, der soeben Zeus‘ Rippe entstieg. Aber auch Klees Prototyp des Zeus-/Johannes-Kopfes ist ambivalent geworden, ist doch nicht sicher, ob derselbe Bärtige in Götterbesuch als Beschützer oder als Vergewaltiger hinabsteigt.

Das Schillern bis dato anerkannter – fachlicher und moralischer – Autoritäten, die sich windelweich wenden bzw. von ihren Podesten stürzen, schwingt hier mit; Gegenfigur dazu: der hakennasige Mitläufer, der in Huldigung einem Pharao opfert und, mit noch höher gereckter Nase, in Karl der X-te und Johannes d. Täufer von der Kirche legitimiert werden will. Auch Gefallene, Flüchtende summieren sich auf den Blättern – und auffällig ist oft der kräftige Duktus, der den Druck des Jahres 1933 quasi direkt aufs Papier überträgt.

Andererseits gibt es auch fast ins Papier zurückweichende Zeichnungen, die Zwiegespräch über Gott oder die ratlosen heißen, wie verirrte Meteoriten aufs Papier gesetzt. Doch zu behaupten, Klee habe sich in religiös räsonierender Trostlosigkeit verloren, wäre verfehlt. Denn natürlich entstanden 1933 auch Bilder wie Ballett der Bäume mit faunengleichen Wesen, die keinen Subtext zu bergen scheinen.

Blätter wie die winzige Schießerei dagegen wirken zynisch durch die vermeintliche fast abstrakte Niedlichkeit der Verfolgten. Und Szenen wie „Menschenjagd“ – Speermännchen jagen eine Stolpernde – erinnern fatal an Höhlenmalereien, die damals allerdings der Nahrungsbeschaffung dienten. Klees Lesart der „nationalsozialistischen Revolution“: archaisch, zweckfrei, hinter den Cro-Magnon-Menschen zurückgefallen. PETRA SCHELLEN

Paul Klee 1933. Hamburger Kunsthalle. Di –So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 7.3.2004