: Ohgottogottogott!
Kresnik lässt im Dom vielleicht nackig tanzen! Ebenso erwartbar: Die Reaktion des Boulevards. Die Gemeinde hält sich bedeckt
Sie haben ein Problem: Sie verfügen über eine funktionstüchtige aber doch leicht angejahrte Ästhetik. Wie könnten sie diese nun ohne tiefergreifende Änderung als neu verkaufen?
Ganz leicht: Wählen Sie eine Kirche als Aufführungsraum. Denn dort erglänzt selbst der modrigste Regie-Einfall aus den Tiefen der Zeit im blendend grellen Licht des Skandals.
Den Beweis dafür liefert die Bremer Debatte um Johann Kresniks Produktion „Die Zehn Gebote“: Das Stück ist im Entstehen begriffen. Work in progress: So hat der Regisseur in Bremen schon zu Kurt Hübners seligen Zeiten gearbeitet. Man testet Grenzen aus, sucht nach Szenen, Bildern. Ein Einfall – eine Casting-Meldung: Eventuell könnten Damen im Alter von über 60 Jahren an – warum nicht: vielleicht sind’s ja Parzen – Nähmaschinen sitzen. Möglicherweise gar im Eva-Kostüm. Ein erregender Gedanke.
Zumindest für Bremen. Hier sorgt er – vom Boulevard erwartungsgemäß aufgegriffen – für ein Hallo, als wäre die Stadt frisch aus den 70er Jahren in die Gegenwart gebeamt worden. Empörte Anrufe habe es gegeben und prompte Kirchenaustritte. Ein Konflikt zwischen Klerus und Künstler? Eher nicht: Zwar gibt es Versuche, in die Autonomie der Dom-Gemeinde einzugreifen. Doch diese hält sich noch bedeckt. „Wir wollten den Anfang der Proben wirklich abwarten“, so Pastorin Ingrid Witte. Im Übrigen seien „die Zehn Gebote das Provokanteste überhaupt – da ist eine provokative Darstellung sicher nicht verkehrt.“ Am Ende der Woche werde man „sich zusammen setzen und sich darüber unterhalten, was geht, und was nicht.“ Unaufgeregt, wenn auch „verärgert, über derartige Inhalte erst aus der Presse zu erfahren“ auch die Vorstehende des obersten Gemeindegremiums, die verwaltende Bauherrin Edda Bosse. Für sie persönlich sei die potenzielle Nacktheit der Näherinnen jedoch „keine Entweihung des Raumes“.
Der Konflikt funktioniert unabhängig von seinen Akteuren – weil er zum Repertoire der Denkschablonen gehört. Was Bremen erlebt ist eine Gespensterdebatte. Sie kommt auch ohne echten Gegenstand aus: Noch haben sich keine Statistinnen gemeldet. Konkrete Gestalt angenommen haben sie indes in den Köpfen der Zuwortmelder: So denkt Pastor Jens Motschmann bereits mit Schauder an „eine schamlose Inszenierung“, welche „die Würde des Menschen“ verletze. Dass Nacktheit per se die Würde des Menschen verletzt, ist ein theologisch schwer nachvollziehbarer Gedanke. Hätte Gott den Menschen würdelos geschaffen? Oder wie war das gemeint? Es sei, so gibt Intendant Klaus Pierwoß Entwarnung, „nicht daran gedacht, Frauen in 0190er-Manier abzubilden“. Bes