: Seele muss sich wieder lohnen
Die von dem schwedischen Medienkonzern Bonnier erworbene Ullstein-Verlagsgruppe zieht von München nach Berlin
Was die Umzüge von Verlagen anbetrifft, herrscht gerade ein stetes Kommen und Gehen zwischen den Städten München und Berlin. Hatte erst im Sommer der zu Bertelsmann gehörende und in München ansässige Random-House-Verlag beschlossen, den seit 1983 ihm unterstellten Siedler-Verlag nach München umzusiedeln, so geht es jetzt wieder einmal in die umgekehrte Richtung: Der Ullstein-Verlag, vor sechs Jahren erst von Berlin nach München gezogen, kehrt im Mai 2004 nach Berlin zurück, und mit ihm eine Reihe anderer Verlage wie Claassen, Econ, List, Propyläen und Marion von Schröder. In Zeiten massiver Verlagskonzentrationen ist diese Entscheidung selbstverständlich nicht in München getroffen worden, sondern in Schweden, wo die Zentrale des Medienkonzerns Bonnier ihr Zuhause hat.
Die Bonnier-Gruppe erwarb die besagten Verlage, nachdem das Kartellamt die Übernahme der gesamten ursprünglich zu Springer gehörenden Ullstein-Heyne-List-Gruppe durch Random House untersagt hatte und schließlich „nur“ der Heyne-Verlag bei Random House verblieben war. Angesichts dieses konzernstrategischen Hin und Hers erstaunt es, wenn der Deutschland-Chef von Bonnier, Viktor Niemann, gegenüber dem Branchenmagazin Buchmarkt von einem „Fehler“ spricht: „Jeder Verlag hat eine Seele und ein Umfeld, in dem er verankert ist. Ullstein ist ein Hauptstadt-Verlag und muss dorthin zurück.“
Das klingt seriös und verheißungsvoll, wirkt jedoch zweifelhaft, wenn es heißt, dass zwar 120 Mitarbeiter von diesem Umzug betroffen sind, aber nur 100 in die alten und dann neu renovierten Ullstein-Verlagsräume am Oranienburger Tor in der Friedrichstraße ziehen werden. So mögen Niemann zwar die Tränen rühren, die manche seiner Mitarbeiter jetzt vergießen, „viele haben ein Haus, schulpflichtige Kinder, Partner, die aus beruflichen Gründen nicht mitgehen können“, doch so lässt sich eben auch geschickt Personal abbauen: elegante Verschlankung durch Umzug sozusagen. Und Bonnier als dritter großer Player auf dem deutschen Buchmarkt ist trotz aller guten Vorsätze genauso wenig ein Wohltätigkeitsverein wie Bertelsmann und Holtzbrinck und wird sich diesen Umzug jenseits von Schlagworten wie „Seele“ und „Tradition“ gut durchgerechnet haben. Was das für Berlin bedeutet? Die Wirtschaftsverwaltung begrüßte den Umzug schon im gewohnten Überschwang „als positives Signal für den Verlagsstandort Berlin“. Den Status „einer großen Verlagsstadt“ erzielt Berlin jedoch so schnell nicht mehr: nicht nach den Aderlässen der letzten Jahre und nicht dadurch, dass Verlage wie am Reißbrett von hier nach da und wieder zurück geschoben werden. Ein kreatives, geschäftsförderndes Umfeld erneuert sich da nur langsam.
Der Spitzentitel von Ullstein in diesem Herbst war übrigens passenderweise Sten Nadolnys „Ullsteinroman“. In diesem kann man detailliert den Aufstieg und Fall des Verlagsimperiums Ullstein nachlesen. Nach der Lektüre weiß man sehr gut, dass die „Seele“ dieses Verlages schon lange nicht mehr existiert und „Label“ inzwischen das richtige Wort sein dürfte.
GERRIT BARTELS