: Hertha feiert 10. Advent
Mit dem 0:3 in Köln stolpert sich Hertha BSC ein aussagekräftiges Bewerbungszeugnis für den Abstieg zusammen. Der FC ist nach dem blendenden Sieg nur noch 12 Punkte vom Uefa-Cup entfernt
AUS KÖLN BERND MÜLLENDER
Gleich nach dem 3:0 liefen Kölns Spieler lachend und mit einem riesigen Transparent durchs Stadion. „Rot-weiße Weihnachten“ wollte man feiern – und die 35.000 sangen lateinsicher ihr „Viva Colonia“, inbrünstig wie lange nicht mehr durchs steile Viereck von Müngersdorf. Mit dem ersten Sieg unter dem Schweizer Trainer Marcel Koller (im immerhin siebten Versuch), ausgelöst durch „die beste Leistung, seit ich hier bin“ (Koller), hat der waidwunde FC den letzten Tabellenplatz verlassen.
Neulich noch, nach der Pokalblamage gegen Fürth, hatte der Express per Balkenüberschrift so wunderschön gefragt: „Ist der FC eine Krankheit?“. Jetzt, nach dem überaus blendenden 3:0, gilt morbus agrippiniensis als wundergeheilt. Und weil der Kölner zur Euphorie neigt, darf er gleich umschalten: Vier Spiele ungeschlagen, eine stolze Serie, Rettungsplätze nah. Und bis zum Uefa-Cup sind es gerade noch 12 magere Punkte.
Anders die Hertha: Da droht augenscheinlich mors capitis, der Tod der Hauptstädter. Vor allem bei dieser mos capitis, der schlechten Hauptstadtmoral.
Berlins Manager Dieter Hoeneß stand aschfahl in den Katakomben und sagte, dass er nichts weiter sagen wolle. Andreas Thom, sein Übergangscoach für drei sieglose Begegnungen, gab die lebloseste Trainer-Performance der Hinrunde: Es sei „dit Schlimmste jekommen, was vorstellbar ist“, brummelte er knittergesichtig. Ein persönliches Fazit? „Hätt’ mir mehr Punkte jewünscht.“ Auch allerletzte Worte sind überliefert. Was wird nach der Winterpause sein? Darüber habe er sich „übahaupt noch keene Jedanken jemacht“. Abgang.
Thom hat ausgetrainert, kein Zweifel. Jetzt ist die Zeit des spekulativen Namedroppings. Ralf Rangnick aus dem verzwisteten Hannover? Womöglich Jörg Berger von Alemannia Aachen? Der hat Retterimage für aussichtslose Fälle. Oder doch Christian Gross vom FC Basel, Schweizer wie FC-Heiler Koller? Gross saß am Dienstag auf der Tribüne.
Die Berliner hatten 90 Minuten lang eine Kaskade von Unfähigkeit und Lustlosigkeit abgeliefert. Was war drolliger – das erste Tor, als drei Herthaner 25 Sekunden nach der Halbzeit Andrey Voronin beim Torschuss freundschaftlich eskortierten, oder doch das 0:3 kurz vor Ende? Da war Hertha-Hüter Gabor Kiraly sinnfrei im Strafraum herumgehopst wie ein Teletubbie, worauf Matthias Scherz rückwärts zum Tor aus spitzem Winkel per Bogenlampe einköpfelte. Wenn Ungarns Nationalkeeper seinem neuen Nationaltrainer Lodda Matthäus beweisen wollte, wie schlecht es um den ungarischen Fußball bestellt ist, war der Auftritt beweiskräftig.
Der Brasilianer Marcelinho, Herthas Diskotänzer und Hoffnungsfigur im Offensivspiel, blieb so blass wie sein gefärbtes Haar. Schon nach vier Minuten wechselte er, begleitet vom Kopfschütteln des Clubmanagers Hoeneß, an der Seitenlinie das Schuhwerk. Aber er rutschte weiter aus, wie viele Herthaner danach ebenso. Gucken die Berliner keine Wetterkarte? Vermuteten sie jahreszeitenunkundig sommerlich verdorrtes Geläuf? Oder, noch schlimmer: Können sich Hauptstädter ausgerechnet zur Weihnachtszeit keine Stollen mehr leisten? Es steht offenbar schlimmer um unsere Republik als gedacht.
45 Minuten hatte auch der FC herthaesk gespielt: Umständlich, stolperstark und gehemmt, ohne Libero, dafür mit einem Ausputzer Cichon manchmal 20 Meter hinter der Abwehrkette. Falls sich die Berliner mal nach vorn trauten, konnten die Kölner schnell belegen, dass auch ihre Abwehr durchaus abstiegsfähig ist. „Verunsicherter Sicherheitsfußball“ raunte der Tribünennachbar. Einmal musste Kölns Christian Springer vom Schiedsrichter gebeten werden, einen Freistoß 15 Meter weiter vorne auszuführen. Passend zur Adventszeit gab es eine Kerze nach der anderen – schon zur Halbzeit war 10. Advent, am Ende lautete das Kerzenverhältnis 6:9.
Von Lukas Podolski, dem 18-jährigen Wirbelwind im Kölner Angriff (Koller: „Der ist frisch, unbekümmert und unbelastet“), ist der Satz überliefert: „Ich laufe hier so auf, als ob ich in der A-Jugend spiele.“ Bei Hertha müsste es heißen: „Weil ich Altherrenfußball so belebend finde.“ Längst sind bei Kiraly und Abwehrchef Dick van Burik die Bärte ab, die sie sich nach einem ihrer zwei glorreichen Vorrundensiege übermütig hatten wachsen lassen, bis das Team dreimal hintereinander gewänne. Schade um den Versuchsabbruch – so hätten sie jetzt wenigstens als Weihnachtsmänner eine gute Figur gemacht – und am Ende der Saison als Saddam-Doubles.