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Archiv-Artikel

Zum Wohle des Kindes

betr.: „Ich hätte gerne gehört, dass ich existiere“ von Heide Oestreich, taz.mag vom 14. 12. 03

Die Überschrift des Artikels hätte sich auf das Kind statt auf den Vater der beschriebenen Scheidungsfamilie beziehen sollen. Ausgegangen von der Situation des Vaters, „nicht gehört zu werden“, wird hier die Ohnmacht beschrieben, der zumeist die Väter ausgesetzt sind, wenn es um das juristische und zwischenmenschliche Recht geht, sich um sein Kind kümmern und zu ihm regelmäßigen Kontakt halten zu dürfen.

Weitaus wichtiger ist doch die Frage, was es dem Kind bedeutet, wenn Eltern es nicht schaffen, sich auf eine für alle Seiten faire Weise so zu einigen, dass das Kind beide Elternteile als positive, unterstützende Begleitung erleben kann. Wer hört schon richtig hin, was die Trennung, die Konflikte und Streitereien im Kind auslösen, was das Kind innerlich durchmacht, wohin sich seine Phantasien und Wünsche bewegen? Ausgehend vom Kind als Mittelpunkt sollte doch hier die Kernfrage gestellt werden: Welche Lösung wird diesem Kind, in seinen hier gegebenen speziellen Zusammenhängen, am ehesten gerecht?

Optimale Lösungen, so dass alle Seiten zufrieden sein können, gibt es selten. Dazu ist zu viel emotional Unausgegorenes und nicht Verarbeitetes zwischen den Erwachsenen, wie der Bericht gut aufzeigt. Erwachsenen sollte mehr zugemutet werden als den Kindern, denn sie sind die Verursacher für die schwierige Situation, und sie haben bereits Umgangsstrategien entwickeln können in Bezug auf Verzicht, Trennungen und Trauer. Das Kind ist all diesem Geschehen einfach ausgeliefert und verbündet sich in der Regel mit dem Elternteil, das ihm am meisten emotionale Sicherheit und Halt im Alltag gibt.

Mit keinem Wort wird in dem Artikel erwähnt, dass seit dem 1. Juli 1998, also seit fünf Jahren schon, im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) der § 50 eingefügt wurde. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Zulässigkeit dieser Norm für jene familien- und vormundschaftsgerichtlichen Verfahren, in denen „eine für die Zukunft des Kindes bedeutsame Entscheidung getroffen wird und wegen eines Interessenkonfliktes zwischen Eltern und Kind die Interessen des Kindes nicht hinreichend durch die Eltern wahrgenommen werden können“ (BVerfGE, FamRZ 1999, 85/87). Das heißt im Klartext, dass in Fällen, in denen die Eltern (oder Jugendamt/Eltern) sich über die Ausübung der elterlichen Sorge nicht einig werden und keine gemeinsamen Lösungen zum Wohl des Kindes finden, eine Verfahrenspflegerin (oder: Verfahrenspfleger) einbezogen werden sollte, die die Interessen des Kindes herausarbeitet und diese vor dem Gericht und den Eltern vertritt – als „Anwalt/Anwältin des Kindes“. […]

Was hätte es in diesem Fall „Familie Fischer“ vielleicht für einen Unterschied gemacht, wäre hier eine Verfahrenspflegerin mit ins Spiel gekommen? Sie hätte sich mit dem Kind beschäftigt. Sie hätte versucht herauszufinden, was die Situation mit Fabian macht, wo er emotional steht. Was ihm fehlt, was ihm gut tut, was er sich wünscht. Sie hätte den Eltern vielleicht besser als ein Gutachter, der die Beteiligten nur kurz sichtet und wenig Gelegenheit hat eine Beziehung zu dem Kind herzustellen, klar machen können, wo sie zuliebe ihres Kindes ansetzen sollten, um seine Entwicklung nicht zu gefährden. Vielleicht hätten sie sich daraufhin bereit gezeigt, eine Beratungsstelle oder Mediation aufzusuchen, vielleicht hätten sie so erst einmal sogar auf eine gerichtliche Lösung verzichten wollen. Zum Wohle des Kindes. Und vor allem: Vielleicht hätte Fabian sich jemandem anvertrauen können, der keine persönlichen Ziele mit ihm verbindet, sondern nur die Aufgabe hat, sich um das Herausarbeiten einer realistischen, ihm gerecht werdenden Perspektive zu bemühen. Fabian wäre gehört und seine Existenz wäre ernst genommen worden.

CHRISTINE LEUTKART, Mühlheim/Donau