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Archiv-Artikel

Das große Pisa-Gerede beginnt

Nach Veröffentlichung von Pisa II lehnen Union und FDP längeres gemeinsames Lernen ab. SPD sieht darin nur Langzeitperspektive. Böger will Sozialarbeiter für Hauptschulen

Erwartet unterschiedlich haben Berliner Schulpolitiker auf die gestern veröffentlichten Ergebnisse der Bildungsstudie Pisa II reagiert. Während die Grünen sich in ihrer Forderung nach gemeinsamem Lernen bis zur 10. Klasse bestätigt sahen, sieht die CDU „keine Rechtfertigung für eine Einheitsschule“. Laut Schulsenator Klaus Böger (SPD) waren nur acht Berliner Schulen an der Studie beteiligt. Er kündigte an, in Hauptschulen auf Lehrerstellen zu verzichten und Sozialarbeiter einzustellen. Die Bildungsgewerkschaft GEW sprach sich für gezielte und verpflichtende Sprachkurse für alle Kinder mit Förderbedarf aus.

Die PDS-Politikerin Siglinde Schaub kündigte an, ihre Partei werde trotz des neuen Schulgesetzes auf Veränderungen drängen. „Es ist nicht mehr die Frage, ob sich unser Schulsystem überlebt hat, sondern nur noch, wie wir zu längerem gemeinsamem Lernen kommen.“

Felicitas Tesch vom Koalitionspartner SPD äußerte sich zurückhaltender. Erst mal müsse man das Gesetz wirken lassen. Das habe schon Anregungen aufgegriffen, früher einzuschulen und die Bildung in den Kitas aufzuwerten. Berlin und Brandenburg seien mit ihrer 6-jährigen Grundschule zudem weiter als andere. Längeres gemeinsames Lernen ist für Tesch ohne größere Eltern-Begeisterung nur eine Langzeitperspektive.

Für Starterklassen sprach sich FDP-Bildungspolitikerin Mieke Senftleben aus. „Wir müssen der frühkindlichen Förderung mehr Gewicht geben“, sagte sie. Sie sah ihre Forderung nach mehr Eigenverantwortung für Schulen bestätigt. Länder, die ihren Schulen diese einräumten, hätten besser abgeschnitten. Schulkooperationen begrüßte sie, eine von oben verordnete Einheitsschule lehnte sie ab.

CDU-Schulexpertin Katrin Schultze-Bernd kritisierte den Pisa-Studienkoordinator, der als Grund für ungleiche Bildungschancen die relativ starre Gliederung des Schulsystems nannte. Man sollte nicht diese Ideologiedebatte aufmachen, sagte Schultze-Bernd, für die der Koordinator politisch „auch nicht im luftleeren Raum“ schwebt. Einzelne drastische Veränderungen im Länder-Ranking – Polen und Österreich – legen für sie nahe, dass die Studie nur eine Momentaufnahme ist.

Als Konsequenz aus der Pisa-Analyse, dass das Schulsystem vor allem auch Migrantenkinder benachteiligt, forderte die in Berlin ansässige Föderation Türkischer Elternverbände eine „tiefgreifende und radikale Reform des deutschen Erziehungs- und Schulsystems“. Dazu gehört für den Verband ein verbindlicher Kita-Besuch, gemeinsamer Unterricht bis zur 10. Klasse und flächendeckende Ganztagsschulbetreuung und muttersprachlicher Unterricht als zeugnis- und versetzungsrelevantes Fach.

STEFAN ALBERTI

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