: „Man müsste die Warlords schwächen“
Der EU-Sondergesandte in Afghanistan, Francesc Vendrell, hält die starke Position der Warlords für ein Haupthindernis einer demokratischen Entwicklung Afghanistans. Besonders die Amerikaner müssten zu einer Demobilisierung ihren Beitrag leisten
Interview SVEN HANSEN
taz: Sie haben das Bonner Afghanistan-Abkommen im Dezember 2001 mit ausgehandelt. Was hat sich seitdem positiv entwickelt?
Francesc Vendrell: Es hat keine größere Gewalt mehr gegeben trotz der jüngst gewachsenen Aktivitäten der Taliban. Der Zeitplan des Abkommens wurde eingehalten und es gibt einen Wirtschaftsaufschwung. Die Frauen haben wieder Zugang zu Bildung und Arbeit. Auch hat die vereinbarte Koalition aus Nordallianz, so genannter Rom-Gruppe und Zivilisten bisher gehalten.
Was lief schief?
Wir haben in Bonn die internationale Gemeinschaft falsch eingeschätzt. Wir dachten, sie würde die internationale Friedenstruppe Isaf früh über Kabul ausdehnen und Isaf von ihrem Mandat nach Kapitel 7 Gebrauch machen und friedenserzwingende Maßnahmen durchsetzen. Beides ist nicht passiert. Deshalb wurden die Milizen der Warlords kaum demobilisiert, was zur Bildung einer repräsentativen Regierung essenziell wäre.
Wie wirkte sich die mangelnde Demobilisierung aus?
Die Wahlen für die beiden Großen Ratsversammlungen waren problematisch. Es gab Einschüchterungen, da die Warlords und lokalen Kommandeure noch die Kontrolle haben. Der Mangel an Sicherheit behindert alles, zum Beispiel die Bekämpfung der Opiumproduktion. Deren Anstieg ist besorgniserregend, aber die Regierung von Präsident Karsai hat keine Kontrolle über große Teile des Landes. Auch die Wahrnehmung, dass die Macht zwischen der Nordallianz und dem Rest der Bevölkerung ungleich verteilt ist, führte zu Unzufriedenheit, besonders bei den Paschtunen. Der Präsident ist Paschtune, die wahre Macht haben aber Tadschiken. Dieses Ungleichgewicht hilft den Taliban.
War der Zeitplan des Bonner Abkommens – nach nur 2 Jahren eine Verfassung zu verabschieden – nicht zu ehrgeizig?
Der Zeitplan wurde als fast unantastbar betrachtet. Ich hätte kein Problem, wenn diese Loja Dschirga und die für 2004 geplanten Wahlen verschoben würden. Dann muss die Zeit genutzt werden, um die Sicherheit zu verbessern, wofür die internationale Gemeinschaft mehr tun muss. Unter den jetzigen Umständen sind Wahlen nicht glaubwürdig durchführbar.
Haben die USA das Problem mit den Warlords verschärft, indem sie genau jene für ihren Krieg gegen die Taliban einsetzten und stärkten, die jetzt die Demokratisierung verhindern?
Kurz nach dem 11. 9. machte es für die USA Sinn, im Kampf gegen die Taliban auf die Kämpfer der Nordallianz zu setzen. Nach dem Bonner Abkommen gab es eigentlich keinen Grund mehr für die Amerikaner, sich auf die Warlords zu stützen. Da die Amerikaner für einen Großteil der Bewaffnung der Warlords verantwortlich waren, müssen sie jetzt auch deren Macht reduzieren.
Wie hat der Irakkrieg die Situation in Afghanistan beeinflusst?
Der Irakkonflikt wirkte sich negativ aus. Der Krieg spaltete die Europäer und ließ sie Afghanistan aus dem Blick verlieren. Deutschland blieb sehr aktiv, aber andere europäische Länder haben wegen Irak kaum noch Interesse an Afghanistan. Die deutsche Regierung ist weise in dem Sinn, weil sie mit rund 2.000 Soldaten in Afghanistan einen viel größeren Effekt erzielt, als wenn diese im Irak wären.
Bis heute sind reformorientierte Gruppen in Afghanistan schwach geblieben. Hat die internationale Gemeinschaft sie zu wenig unterstützt?
Die Entwicklung von demokratischen, pluralistischen Parteien und Gruppen leidet unter der Macht der Warlords. Diese hätten wir schwächen müssen.
Pakistan wird vorgeworfen, Taliban-Kämpfer zu dulden, die von dort aus Afghanistan terrorisieren. Welche Rolle spielen Afghanistans Nachbarn heute?
Meist eine konstruktive Rolle, trotzdem hört die Einmischung von außen nicht auf. Solange in Kabul keine Regierung an der Macht ist, die alle Ethnien ausgewogen vertritt und durch freie und faire Wahlen legitimiert ist, wird es hier Warlords geben, die Unterstützer in den Nachbarländern haben. Deshalb lässt sich die Einmischung nicht nur durch Druck auf die Nachbarländer beenden, sondern durch die Bildung einer multiethnischen, voll repräsentativen Regierung.