Der Wunsch nach dem Vater

Kinder von Lesben oder Schwulen trafen sich in Bayern. Zu Hause verteidigen sie ihre Eltern gegen Vorwürfelästernder Mitschüler, und doch wünschen sich manche die vorgebliche Normalität von Hetero-Familien

BAD KISSINGEN taz ■ Zwölf Köpfe beugen sich über das Papier. Auf die Melodie „Von den blauen Bergen kommen wir …“ muss noch eine Strophe gefunden werden. Schließlich singen die Kinder: „Unsere Freunde fragen: Wie lebt ihr? Denn zwei Mütter, ja, die haben wir. Habt ihr damit ein Problem, wir können das nicht verstehen, denn wir sind genau so froh wie ihr.“ Die Wirklichkeit ist komplizierter.

Im unterfränkischen Bad Kissingen hatte der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) zum vierten Mal zu seinem Familienseminar eingeladen. Die Resonanz sei so groß wie noch nie, sagt Elke Jansen vom „Projekt Regenbogenfamilien“ im LSVD. Das hänge wohl damit zusammen, dass Schwule und Lesben ab 1. Januar 2005 die Kinder ihrer Lebenspartner adoptieren dürfen.

Die größeren Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 15 Jahren treffen sich im Pavillon. Einige lassen Dampf an der Tischtennisplatte ab. Die elfjährige Silvia (Namen geändert) sagt: „Ich finde unsere Gruppe cool, weil ich mit anderen reden kann, die auch gehänselt werden. Eigentlich habe ich ja einen Vater und eine Mutter. Aber meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich noch ganz klein war, und meine Mutter hat dann herausgefunden, dass sie lesbisch ist. Jetzt ist sie mit ihrer Freundin verheiratet.“ Silvia, die für ihr Alter sehr reif wirkt, findet, jeder sollte so leben dürfen, wie er will. Jederzeit würde sie ihre beiden Mütter für deren Lebensform verteidigen, aber es tut weh, wenn sie um ihretwillen gekränkt wird. Als sie noch in die fünfte Klasse ging, sei sie jeden Tag „der Arsch“ der Schule gewesen. Manche Mitschüler wollten wissen, ob sich ihre Mütter küssen und riefen: „I!, wie eklig!“ Mittlerweile ist es aber etwas besser geworden, weil Silvia Freundinnen hat, die sich auf ihre Seite stellen. Sogar einen Jungen haben sie schon für sie verprügelt.

Etwas entspannter geht es bei Veronika zu. In der Klasse der Zwölfjährigen wissen nur die engsten Freundinnen, dass sie in einem Lesbenhaushalt lebt. Sie mag ihr Familienleben: „Es ist schön und ruhiger mit zwei Müttern.“ Zum Vater hat sie keinen Kontakt mehr. Vor kurzem ließ sie eine Namensänderung vornehmen und heißt jetzt so wie ihre Mutter. „Ich find das nicht so schlimm mit einer Co-Mutter. Als ich im Krankenhaus war, dachten auch alle, sie wäre meine richtige Mutter“, erzählt Veronika.

Markus und Thomas gehören zu den ersten „Inseminationskindern“ der 90er-Jahre. Vor zehn Jahren war der lesbische Kinderwunsch durch Samenspende mit noch größeren Tabus belegt als heute. Die beiden Brüder beginnen nun allmählich, über ihre Herkunft nachzudenken. Ganz erwachsen meint der zehnjährige Thomas, als er ein Radiomikrofon sieht: „Wenn das an ist, kann ich nicht weitersprechen.“ Dann erzählt er, dass eine seiner Mütter beim Arzt Samen eingespritzt bekam und dass das niemand wissen dürfe, weil der Arzt dann ins Gefängnis käme. „Ich kann mir ein anderes Leben gar nicht mehr vorstellen“, sagt er. Und dann leise: „Doch, vielleicht schon.“ Seinem Bruder geht es ähnlich. Die beiden Jungen werden ihren Vater, einen anonymen Spender, aber nie ausfindig machen können.

Damit sich Regenbogenkinder nicht nur einmal im Jahr treffen, bietet der LSVD in einigen Großstädten Ilse-Gruppen an, die „Initiativen Lesbischer und Schwuler Eltern“. „Die Kinder und Jugendlichen bräuchten viel mehr Angebote“, findet Sozialpädagogin Thea, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Diese zwei Tage sind kaum genug. Danach werden sie wieder in alle Richtungen zerstreut.“

Sie habe den Eindruck, dass der Druck von außen die Kinder darauf „polt“, ihre Familie möglichst positiv darzustellen. Frage man sie, ob sie Regenbogenfamilien gut fänden, kämen erwartbare Antworten wie „Kein Problem“ oder „Alles in Ordnung“. „Aber wenn man länger mit ihnen im Gespräch ist“, sagt Thea, „dann kommt schon sehr deutlich raus, dass sie Probleme haben. Weil sie aber andere Familienformen kaum kennen, fällt es ihnen schwer, ihre Wünsche zu benennen.“ Vielleicht werde in den Familien zu wenig darüber geredet, was den Kindern fehlt. Thomas’ Bruder Markus weiß genau, warum er seinen Vater vermisst: „Ich würde so gerne mit ihm Achterbahn fahren.“

BARBARA WÜNDISCH