: „Die Wertorientierung ist ein neues Element bei der CDU“
Karl Feldmeyer hat jahrelang für die konservative FAZ über die CDU berichtet. An seinem letzten Parteitag erklärt er, warum es gut ist, wenn Linksliberale Merkel nicht verstehen
taz: Herr Feldmeyer, Angela Merkel hat Sie gestern Abend, beim Presseempfang, ausdrücklich und öffentlich geehrt: Sie sind selbst doch ein Teil der CDU-Familie, nicht wahr?
Karl Feldmeyer: Nein, aber ich bin national und konservativ. Ich bin aus Ihrer Sicht also schlimmer als die CDU. Ich habe mich nie als Journalist eines bestimmten politischen Lagers verstanden. Dadurch, dass ich mich mit der CDU so lange so intensiv beschäftigt habe, bin ich auch ihr scharfer Kritiker geworden.
Wie soll es gelingen, sich über Jahre die innere Unabhängigkeit von einem Gegenstand zu bewahren, dem man sich so sehr widmet?
Nun, ich messe die CDU an meinen eigenen Ansprüchen. Und an ihren eigenen Ansprüchen. Und ich muss nach 35 Jahren sagen: Je länger ich im Geschäft bin, desto mehr stelle ich fest, dass der Kampf um die Macht eine sehr problematische Priorität vor der Sachfrage genießt. Die Frage, was notwendig ist, wird zurückgestellt hinter die Frage, wie erreiche oder wie erhalte ich die Macht. Das ist in der parlamentarischen Demokratie systembedingt. Aber es ist eine sehr frustrierende Erkenntnis. Und die schützt einen Journalisten davor, sich mit einer Partei oder den Politikern zu identifizieren.
Sie haben seit 1969 die meisten, seit 1976 alle CDU-Parteitage beobachtet. Ist das hier eine starke CDU?
Nein. Die CDU ist in der Opposition und damit in einer Stresssituation. Sie muss Frustrationen verarbeiten und mit der Sorge und Angst leben, dass sie 2006 den Wahlsieg wieder nicht erlangt. Die CDU ringt mit sich und um ihre Geschlossenheit. Sie ringt auch mit ihrer Führungspersönlichkeit, die mit ihrem Charisma nicht zu den Großen ihrer Partei zählt. Angela Merkel hat bislang nicht die öffentliche Wirkung eines Gerhard Schröder.
Hat diese Rede Merkel geholfen?
Sie war zu lang. Sie hat das Publikum erschöpft. Aber es war eine Überlegenheitsdemonstration: Merkel hat alle ihre innerparteilichen Gegner genannt und gelobt und damit gezeigt, dass sie über dem Streit steht. Und sie hat ihre Reformvorsätze in eine rationale Gesamtpolitik eingebettet, sie hat den Beweis erbracht, dass sie, Merkel, und damit die CDU als Ganzes, eine klare Alternative zu Rot-Grün und kein gradueller Unterschied zu Rot-Grün ist. Dazu diente ihr die Aufzählung der Werte, zu denen Rot-Grün ein Unverhältnis, mindestens aber ein gebrochenes Verhältnis hat: Heimat – die mehr ist als Frau Künasts Biogurken. Familie – die mehr ist als ein Lebensmodell unter vielen. Nationalstolz – der mehr ist als Multikulti. Diese Wertorientierung ist ein neues Element in der Merkel-CDU.
Für linke und linksliberale Ohren klingt diese Wertebeschwörung hohl. Mindestens Realitätsverleugnung, wenn nicht Volksverdummung.
Das muss so sein. Linksliberale Ohren können und sollen das auch gar nicht verstehen. Das kennzeichnet eben die politische Gegnerschaft. Merkel unternimmt den Versuch, Emotionen zum Schwingen zu bringen, die beim politischen Gegner auf keinerlei Gegenliebe stoßen. Es geht ihr darum, die Unverwechselbarkeit der CDU klarzustellen. Die Wähler sollen erkennen, dass sie in ihren Grundüberzeugungen mit der CDU übereinstimmen, selbst wenn ihnen das tagesaktuelle Detail nicht gefällt.
Damit macht sie genau das, was sie soeben Rot-Grün vorgeworfen hat: Lebenslügen pflegen.
Schauen Sie, wenn man die Welt ganz anders sieht, dann muss einem das wie eine Lebenslüge vorkommen, dann muss so eine Rede Widerspruch auslösen. Das gehört zum gesellschaftlichen Konflikt. Aber was Merkel macht, ist der legitime Versuch, den Stallgeruch, das emotionale Terrain zurückzugewinnen, das schon unter Helmut Kohl – und später noch stärker – verloren gegangen ist. Sie beschwört eine deutsche Identität, die auch die CDU-Familie stärken soll.
INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN