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Archiv-Artikel

Auf Riesen Schultern

200 Gäste feierten das erste Jahr taznrw – und auch den 35. Versuch einer Kölner Gegenpresse

Wenn Kommunismus eine kölsche Erfindung ist, ist die taz in Köln zuhause Eine Mischung aus Aktionärs-Versammlung und Adventskabarett

AUS KÖLN CHRISTOPH SCHURIAN

Jürgen Becker war der Nachmittag nicht geheuer. Als Kabarettist habe man es sehr schwer mit der taz, so der Mitternachtsspitze, „weil, die taz, die is‘ ja jut.“ Sie komme tatsächlich jeden Morgen ins Haus, lande tatsächlich auf seinem Frühstückstisch, freute sich Becker. Leidenschaftlich herzte er dann die längliche taz-Fahne im Kölner Stadtgarten und rief: „Neben dem Trierischen Volksfreund ist die taz meine Lieblingszeitung!“. Und da Beckers Zweitlieblingszeitung nun seit einem Jahr mit einem täglichen Regionalteil für Nordrhein-Westfalen aufwartet, war der Kabarettist einer der fünf Laudatoren zum Premierenjahr.

Die drei tazköln-Kolumnisten Jürgen Schmickler, „der Mann mit der Axt“, der Nippeser Solo-Kabarettist Heinrich Pachl, taz-Alltagsbeschreiber Christian Gottschalk, Stadthistoriker Martin Stankowski und eben Jürgen Becker, Moderator der WDR-Kabarettserie „Mitternachtsspitzen“, gaben sich ein Stelldichein vor zweihundert fröhlichen ZuschauerInnen.

Schmickler gab sich mürrisch, tagelang habe er sich an einer Blattkritik der Kölner taz-Seiten versucht, aber nichts zu kritisieren gehabt – der erste Lacher. Also sezierte er den Typus des Alternativschreibers, des abgebrochenen Studenten, der sich nun auf Restaurantkritiken verlegt hat, die in Gastroführern der einstigen Gegenpresse erscheinen. Schmickler fand Sprachbilder zum Schlechtwerden und Wortspiele zum Erbrechen: Wenn „Reis und Linsen eine intime Verbindung eingehen“, wird Schmickler speiübel.

Verhältnisse zum Kotzen, – so weit wollte Heinrich Pachl nicht gehen, vielmehr sei der rheinische Pressemonopolist Neven DuMont eine gewinnbringende Institution in der Stadt Köln. Pachl berichtete von Schmierseife, vom mafiösen kölschen Klüngel mit Paten, Conciliere, Fußvolk. Pachl blickte zurück auf Jahrzehnte des Widerspruchs, zeigte wie die Monopolpresse zwar berichtet, ohne in Wunden zu stoßen. Für ihn Teil eines Medienmachtsystem wie es Umberto Eco beschreibt und der beste Grund für eine freie Presse und ein Appell an die taz, bissiger den Skandalen nachzugehen.

Von Mutmachern und vom Scheitern erzählte Stadthistoriker Martin Stankowski, eine Zeitreise durch Jahrhunderte der obrigkeitsfernen Presse, die bereits seit der Gegenreformation verboten oder verfolgt, mitunter schlicht verprügelt wurde. Seine Forschungen zählen 34 Versuche, eine unabhängige Presse in Köln zu etablieren – der Versuch mit der taz, der müsse nun endlich klappen.

Auch Becker steuerte eine steile These bei: Da der Kommunismus eine kölsche Erfindung sei, weil sie hier vom Wuppertaler Friedrich Engels und dem Trierer Karl Marx ausgeheckt wurde, sei die Domstadt auch Geburtsort der kritischen Linken und die taz hier einfach zuhause. Einziges Problem: Der Kölner würde ja nicht so gerne viel arbeiten und wenig verdienen, deshalb wäre es auch ganz gut, dass die taz in Berlin bei den eifrigen Protestanten ihren Hauptsitz habe.

Aber auch Preußen fehlte natürlich nicht zur Feier des Jahres, die Brigitte Erdweg vom Kölner Verein „Frauen gegen Erwerbslosigkeit“ geistreich moderierte. taz-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch brachte immerhin gute Nachrichten aus der Hauptstadt: Drei „Gute-Laune-Jahre“ lägen hinter der taz mit einer recht hohen Abokurve, einer stabilen Genossenschaft, zwei aufregenden 25-Jahr-Feiern und der Gründung der taz-Entwicklungsgesellschaft – dieses neue Finanzierungssystem der taz-Familie machte den Start der täglichen taznrw erst möglich. Auch die taznord soll darin weiterentwickelt werden sowie die Le Monde Diplomatique und die taz im Internet. Doch ganz auf Gute-Laune wollte Ruch doch nicht machen: Noch sei es zu früh für eine Erfolgsbilanz in Nordrhein-Westfalen. Seit dem Tagesstart der taznrw heute vor einem Jahr seien zwar 800 AbonnentInnen hinzugekommen, auch der Einzelverkauf wachse. Doch Ausruhen ist nicht: Die taznrw müsse immer weiter wachsen, in fünf Jahren solle die NRW-Auflage auf 16.000 gesteigert werden.

Versöhnlich und mit einer privaten Note rundete tazköln Kolumnist Christian Gottschalk die Feier ab – mit einer Premiere: Exklusiv durfte das Publikum schon der Geburtstagskolumne lauschen. Sie erscheint am morgigen Donnerstag und fand eine schöne Umschreibung für die Kölner Feier: „Eine Mischung aus Aktionärsversammlung und Adventskabarett.“