: Lösung in der Ukraine noch nicht in Sicht
Dritte internationale Verhandlungsrunde zwischen Regierungslager und Opposition endet ohne konkrete Ergebnisse. Präsident Kutschma beurlaubt Premier Janukowitsch. Der begreift sich jetzt als unabhängiger Kandidat und ist siegessicher
VON BARBARA OERTEL
Neuer Schachzug von Leonid Kutschma: Der scheidende Präsident der Ukraine schickte gestern Abend Regierungschef Wiktor Janukowitsch in Urlaub. Dessen Stellvertreter Mikola Asarow solle die Geschäfte vorübergehend weiterführen, erklärte das Präsidialamt laut der Nachrichtenagentur AFP. Nach einem ergebnislosen Treffen mit Vertretern fast aller Parlamentsfraktionen hatte Kutschma gestern Mittag noch an Janukowitsch festgehalten. Dieser müsse selbst um seine Entlassung bitten, hatte Kutschma gesagt und hinzugefügt, dass er sich strikt an geltende Gesetze halten werde.
Aus Angst, über den runden Tisch gezogen zu werden, hatten erneute Gespräche zwischen Regierungslager und Opposition unter Anwesenheit von internationalen Vermittlern in der Nacht zum Dienstag zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt. Beide Seiten einigten sich lediglich auf ein Papier, in dem die Notwendigkeit betont wird, das Wahlrecht für eine „faire und transparente“ Wiederholung der Präsidentenstichwahl am 26. Dezember zu reformieren. Kutschma sagte außerdem zu, eine neue Wahlkommission für die Wiederholung der Abstimmung einzuberufen.
Damit blieben aber zwei strittige Punkte nach wie vor ungeklärt: eine Verfassungsreform, mit der Kutschma und seine Getreuen die Kompetenzen des Staatspräsidenten zugunsten des Parlaments stark einschränken möchten sowie – bis gestern Abend – der Rückritt der Regierung Janukowitsch. Nach einem erfolgreichen Misstrauensantrag im Parlament, der Werchowna Rada, in der vergangenen Woche machte die Opposition diesen zu einer Voraussetzung für weiteres Entgegenkommen. Deshalb sollen auch die Massenproteste laut Oppositionsführer Wiktor Juschtschenko vorläufig weitergehen. Das Parlament vertagte seine Beratungen über einen möglichen Kompromiss auf Mittwoch.
Janukowitsch, der schon vor der Beurlaubung politisch als weitgehend erledigt galt, nahm den Schritt des Präsidenten gewissermaßen vorweg. Zwar kündigte er – allen Gerüchten zum Trotz, vielleicht doch nicht mehr bei der Wiederholung der Stichwahl anzutreten – am Nachmittag erneut seine Teilnahme an. Sein Wahlkampfleiter Taras Tschernilow ergänzte dies aber mit einer interessanten Neuigkeit: Janukowitsch betrachte sich nicht länger als Kandidat der Regierungspartei. Sein Wahlkampfstab werde von nun an für einen unabhängigen Kandidaten arbeiten, sagte Tschernilow gestern dem russischen Radiosender Moskauer Echo. Er habe immerhin die Unterstützung von Millionen von ukrainischen Wählern und sei von seinem Sieg überzeugt.
So scheint im Moment mit dem 26. Dezember lediglich ein neuer Wahltermin festzustehen. Gemäß der leninschen Maxime „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ will die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Wahltag die Anzahl ihrer Beobachter vor Ort auf rund 1.000 verdoppeln. Die Prinzipien der Demokratie müssten verteidigt und faire Wahlen in der Ukraine garantiert werden, erklärte Bundesaußenminister Joschka Fischer. Mit bis zu 100 Beobachtern werde sich Deutschland beteiligen.
Russlands Außenminister Sergei Lawrow warf der OSZE „doppelte Standards“ bei der Beurteilung der Wahlprozesse vor. Die OSZE-Beobachtung dürfe nicht zu einem politischen Instrument werden. Einen Vorschlag hatte Lawrow auch noch parat: Die OSZE solle sich anstatt um Wahlen und Menschenrechte lieber um praktische und ökonomische Projekte kümmern.