: Grüne spielen Greenpeace
Die Ökopartei will den Atomexport nach China verhindern. Sie setzt auf die Zermürbungstaktik der Anti-AKW-Bewegung
von JENS KÖNIG und LUKAS WALLRAFF
In der Not hilft den Grünen die Erinnerung an früher. Nach fünf Jahren an der Macht greift die Antiatompartei zu einer altbewährten Methode der Anti-AKW-Bewegung: der Zermürbungstaktik. Damit versuchen die Grünen, den Export der Hanauer Plutoniumfabrik nach China doch noch zu verhindern. Sie präsentieren juristische Gutachten, diskutieren Verfahrensfragen, erläutern Tatbestände und stellen immer neue Forderungen. Niemand soll glauben, die kleine Regierungspartei habe sich mit dem Atomexport, der all ihren Prinzipien widerspricht, abgefunden. Andererseits soll niemand sagen können, die Grünen würden, wie so oft in der Vergangenheit, einen lauten, aber folgenlosen Koalitionskrach provozieren.
Parteichef Reinhard Bütikofer reagiert sachlich, fast schon kühl, wenn man ihn auf den Atomdeal anspricht. „Es gibt eine Reihe von Fragen, die noch beantwortet werden müssen“, sagt er. Was harmlos klingt, soll zum Erfolg führen. Bütikofer hofft, dass das Geschäft mit China scheitert, weil seine Fragen gar nicht beantwortet werden können. „Wo soll die Anlage zum Einsatz kommen?“, fragt er. „Wann soll sie zum Einsatz kommen? Wofür soll sie verwendet werden?“ Viele Fragen, viele Zweifel. Der Parteivorsitzende jedenfalls kann sich „bis jetzt noch nicht vorstellen, wie eine militärische Nutzung der Hanauer Plutoniumfabrik ausgeschlossen werden kann“.
Es ist kein Zufall, dass die Grünen immer wieder diese Bedingung nennen. Sie ist aus der Not geboren. Die Anti-AKW-Partei weiß, dass ihre grundsätzlichen Bedenken gegen die Atomkraft in diesem Fall irrelevant sind. Was den Grünen bleibt, ist die Forderung, dass eine militärische Nutzung der Hanauer Anlage durch die Chinesen ausgeschlossen wird. Das ist die Grundlage der grünen Zermürbungstaktik – weil sich die SPD darauf eingelassen hat, diese Bedingung zu erfüllen. „Ich halte mich an die Äußerungen von Franz Müntefering“, sagt Bütikofer. Auch die SPD will eine militärische Nutzung ausschließen.
Nur wie? Da scheiden sich die Geister. Dabei schien die Antwort zunächst recht einfach. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) soll die Anlage kontrollieren, forderten die Fraktionen von SPD und Grünen vor zehn Tagen. Doch inzwischen hat IAEO-Generaldirektor Mohammed al-Baradei Zweifel ausgelöst. Seine Behörde sei nicht verpflichtet, Atommächte wie China zu überwachen, sagte er. Die IAEO werde einen Einsatz in China lediglich „im Rahmen der üblichen Praxis und unter Berücksichtigung der personellen und finanziellen Möglichkeiten“ prüfen. Das klang nicht nach Begeisterung und sollte im Klartext heißen: Wer eine Überwachung der Hanauer Anlage will, muss zahlen. Fortan hieß es: Da nicht die Chinesen, sondern die Bundesregierung die Inspektionen wolle, müsse Deutschland dafür zahlen, und zwar viel.
Die Grünen nutzen auch das als Steilvorlage. „Die Finanzierung der Kontrollen müssen die Chinesen übernehmen“, fordert Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Der vereinbarte Notenaustausch zwischen Deutschland und China hätte nur dann praktischen Wert, wenn die Finanzierungsfrage der Inspektionen verbindlich geregelt wird. Als Warnung kann den Grünen ein bilaterales Abkommen dienen, das die kanadische Regierung vor dem Bau von zwei Schwerwasserreaktoren in der Provinz Zhejiang mit China unterzeichnet hatte. Peking erklärte sich freiwillig dazu bereit, die Anlagen durch die IAEO kontrollieren zu lassen. Aber seit der Inbetriebnahme der Reaktoren im Dezember 2002 beziehungsweise Juli 2003 hat keine Inspektion stattgefunden. Kanada hatte sich nicht verpflichtet, die Kontrollen zu finanzieren. Und China zahlt auch nicht.
Die Grünen bringen immer mehr Argumente ins Gespräch, die eine lückenlose Kontrolle der Brennelementefabrik in China unmöglich erscheinen lassen. Es sei doch nicht auszuschließen, sagt Bütikofer jetzt, dass die Anlage in einzelne Komponenten zerlegt werde. In dem Fall wäre eine Kontrolle dann „nicht mehr möglich“, meint Göring-Eckardt. Die Verwendung der einzelnen Teile der Plutoniumfabrik könne kaum nachverfolgt und überprüft werden. Die Fraktionschefin stellt also die nächste Bedingung auf: „China muss sich verpflichten, die Anlage nicht in Einzelteile zu zerlegen.“
Es ist nicht so richtig klar, ob die Grünen innerlich wirklich davon überzeugt sind, das Atomgeschäft zwischen Siemens und China noch verhindern zu können. Von einem Gutachten des Bundesjustizministeriums, das die Genehmigung eindeutig befürwortet, lassen sie sich jedenfalls nicht aus der Ruhe bringen. Bütikofer spricht spöttisch von einer „kurzen Darlegung“ aus dem Ministerium, die „offenkundig zu einem Zeitpunkt erstellt wurde, an dem die wesentlichen Fakten noch gar nicht alle bekannt waren“. Tatsächlich war das Gutachten bereits fertig, bevor die Fraktionen von SPD und Grünen am 9. Dezember ihre politischen Bedingungen für den Atomexport formulierten. Ein Gegengutachten von Greenpeace hingegen, wonach die Regierung den Export ablehnen müsse, hält der grüne Parteichef für „hochinteressant“. Die Energiepolitikerin Michaele Hustedt hat die Greenpeace-Atomexperten für den heutigen Freitag in die Bundestagsfraktion nach Berlin eingeladen, um das Gutachten zu erläutern. Mit Zermürben kennt sich Greenpeace ja aus.
Die größte Hürde haben die Grünen noch nicht genommen: Der Kanzler will Siemens den Atomexport ermöglichen. In Schröders Umgebung heißt es, das Geschäft sei schon so gut wie durch. Anfang kommenden Jahres werde es genehmigt. Und selbst die SPD sucht mit ihrer Kritik nur nach Wegen, den Export abzusichern. Die Grünen hingehen wollen ihn verhindern.
Wenn die Hanauer MOX-Fabrik nach China verkauft wird, sehen die Grünen jedoch alt aus, selbst mit der schriftlichen Garantie der Chinesen, die Anlage nur zivil nutzen zu wollen. Ihr eigener Sicherheitsexperte, Winfried Nachtwei, nämlich hat bereits zu Protokoll gegeben, was die meisten in der Partei denken: „Nur die Verschrottung der Anlage garantiert, dass eine Nutzung in einem militärischen Kontext ausgeschlossen ist.“ Der grünen Partei- und Fraktionsführung hat es gar nicht gefallen, dass sich Nachtwei derart kategorisch festlegte. Denn neben der Zermürbungstaktik verstehen die grünen Spitzenleute auch was von Machttaktik. Wenn der Atomexport doch genehmigt wird, werden Bütikofer und Göring-Eckardt erklären müssen, warum das Geschäft am Ende doch noch akzeptabel sei. Notgedrungen.