: KMK: Nur der Unterricht zählt
GEW: Die Änderung der Schulstruktur zählt genauso viel – sonst droht „neue Bildungsunterschicht“. Bildungsministerin Bulmahn will die Hauptschule abschaffen
BERLIN taz/dpa ■ Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hat eine Abkehr vom dreigliedrigen Schulsystem in Deutschland verlangt. Die neue Pisa-Studie zeige, dass die Hauptschule keine Zukunft mehr habe, sagte Bulmahn in Berlin. Die Politik müsse mit einem Tabu brechen. „Wir müssen uns fragen, ob die frühe Auslese von zehnjährigen Kinder nach der vierten Klasse der richtige Weg ist.“
Damit stellt sich die Bildungsministerin in scharfem Kontrast zu ihren KollegInnen in den Ländern. Am Montagabend hatten Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) und die rheinland-pfälzische Schulministerin Doris Ahnen (SPD) die deutsche Pisa-Studie vorgestellt – und hatten eine „verkürzte Debatte“ über die deutsche Schulstruktur – das ist die Aufteilung 10-Jähriger auf vier verschiedene Schultypen – abgelehnt.
Die einzelnen Kultusminister waren gestern gerade Hohlmeiers Lesart gefolgt. Debatten über die Schulformen „sind von gestern und daher zum Scheitern verurteilt“, sagte etwa Hessens Kultuschefin Karin Wolff (CDU). Ihr Parteifreund Jürgen Schreier (Saarland) verwahrte sich gegen Versuche, immer wieder Strukturdebatten von außen anzukurbeln. Er bezog das besonders auf den internationalen Pisa-Koordinator, den Deutschen Andreas Schleicher.
Die im Jahr 2003 erhobenen Pisa-Daten hatten für Deutschland eine geringfügige Verbesserung ergeben – allerdings vorwiegend in Gymnasien, nicht aber in Hauptschulen. Gleichzeitig bestätigte Pisa 2003 die gravierendsten Schwachpunkte der deutschen Schule. Sie schöpfe „das kognitive Potenzial seiner Schüler nicht aus“, sagte der deutsche Pisa-Koordinator Manfred Prenzel mit Blick auf die ungewöhnlich große Gruppe von Risikoschülern (rund 22 Prozent). In der Leistungsspitze seien „die Befunde unauffällig“. Als beunruhigend gilt, dass die Spaltung der Schülerleistungen entlang der Herkunft extrem ist.
Prenzel verneinte auf Nachfragen eine „systematische Beziehung“ zwischen der frühzeitig in Leistungszweige gegliederten Schule und dem sozialen Auseinanderdriften der Schülerleistungen. Allerdings heißt es in der über 400 Seiten umfassenden Studie dazu: „Wie aus den Ergebnissen von Pisa 2000 bekannt ist, wird der relativ enge Zusammenhang von sozialer Herkunft und dem Kompetenzerwerb in Deutschland wesentlich durch den Besuch verschiedener Schulformen vermittelt.“
Die Kultusminister wollen sich in einem Drei-Punkte-Programm auf das Verbessern des Unterrichts konzentrieren. Das sei die wichtigste Schwachstelle der Schule. Der internationale Pisa-Koordinator indes stellte einen Zusammenhang zwischen Schulstruktur und Unterricht her. Die Möglichkeit, Schüler an niedrige Schulen abzugeben, entlasse die Lehrer aus der Verantwortung, „konstruktiv mit Heterogenität umzugehen“.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und andere Organisationen forderten die Kultusminister eindringlich auf, die tiefe Gliederung der Schule bis hinunter zum 10. Lebensjahr zu überdenken. „Ohne einen Systemwechsel werden wir die doppelte Benachteiligung von Schülern aus sozial schwächeren Haushalten nicht ausgleichen können“, sagte Vorstandsmitglied Marianne Demmer. Sie ergänzte, es gehe dabei nicht um einen Systemwechsel von heute auf morgen. Zudem müsse er mit einer gewandelten Unterrichtskultur einhergehen. Sollte die KMK an ihrer Herumwerkelei festhalten, „lassen wir sehenden Auges eine neue Bildungsunterschicht entstehen“. CIF