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Zum Jahresende ist endgültig Zapfenstreich

Das Berliner Polizeiorchester hat ausgespielt. Musiker mit Zeitverträgen werden am 31. Dezember auf die Straße gesetzt, der Rest spielt beim Brandenburger Polizeiorchester weiter. Nur der Dirigent geht nicht mit. Die Orchester hätten fusionieren können. Das aber war politisch nicht gewollt

Das ist der Schlusspunkt der 153-jährigen Geschichte der Berliner Polizeimusik

VON PLUTONIA PLARRE

„Nie zuvor“, sagt der Dirgent des Berliner Polizeiorchesters Peter Feigel, „ist es mir so schwer gefallen, für ein Konzert Musiktitel auszuwählen.“ Der Auftritt am morgigen Sonntag im Großen Sendesaal der Rundfunkanstalt Berlin Brandenburg (RBB) wird für Feigels Band der letzte sein. Die rot-rote Koalition hat beschlossen, dass das Orchester zum Jahresende aufgelöst wird. Die Wehmut bei den Polizeimusikern ist groß. Aber sentimentale Gefühsausbrüche vor ausverkauftem Haus will man sich bei dem Abschiedskonzert nicht erlauben. „Zeit zum Traurigsein ist noch genug, sagt Schlagzeuger Peter Brunner. „Am Sonntag wollen wir unsere Anhänger noch einmal richtig unterhalten.“

Das Konzert markiert den Schlusspunk der 153-jährigen Geschichte der Berliner Polizeimusik. Wie die Reiterstaffel der Polizei, die auch den Sparzwängen zum Opfer gefallen, aber beim Bundesgrenzschutz untergekommen ist, ist das aus 37 Musikern bestehende Orchester für die Berliner Polizei eine Ikone. Dass es der Band, die den Steuerzahler 1,53 Millionen Euro im Jahr kostet, ans Leder gehen würde, hat sich seit Jahren angekündigt. Schon Mitte der Neunzigerjahre, als noch die große Koalition regierte, stand das Orchester bei den Sparklausuren auf der Streichliste.

Damals war das Orchester noch einmal davongekommen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Wenn an allen Ecken und Enden das Geld fehlt und soziale Projekte gestrichen werden, wirkt ein Polizeiorchester eben wie übertriebener Luxus.

Dirigent Feigel, der die Polizeiband seit 1999 leitet, will das nicht wahrhaben. Der 39-Jährige hat viel dazu beigetragen, dass das Orchester mit einem breit gefächerten Repertoire von traditioneller Blasmusik über die Bearbeitung von symphonischen Werken bis hin zu Jazz, Rock und Popmusik im In- und Ausland so einen guten Ruf genießt, wie es heißt. „Zurzeit werden politische Entscheidungen getroffen, deren Ausmaß keiner übersieht“, sagt Feigel bitter. Ähnlich wie die Berliner Symphoniker, denen im Jahr 2004 die Schließung droht (die taz berichtete) sehen sich die Polizeimusiker mit ihren vielen Konzerten in Schulen und Seniorenheimen als Orchester der kleinen Leute. „Der ganze kulturelle Mittelbau bricht weg“, befürchtet Feigel. Die Gefahr sei, dass in Zukunft nur noch die gesellschaftliche Elite über Bildung und Kultur verfüge. Schon jetzt wüssten viele Kinder nicht, wie die Instrumente heißen, weiß der Orchesterchef von Schulauftritten her.

An die „kulturellen Leuchttürme“ wie die Philharmoniker oder die Staatskapelle traue man sich nicht ran, hatte auch der Intendat der Berliner Symphoniker e. V., Jochen Thärichen, unlängst in der taz geklagt. „Der Senat will erst die Kleinen platt machen.“

Am 31. Dezember ist für das Berliner Polizeiorchester Zapfenstreich. An dem Tag laufen die Verträge für ein Dutzend befristet eingestellte Musiker aus. Die zwölf waren eingesprungen, als infolge des Auflösungsbeschlusses die große Abwanderungswelle einsetzte. Nur so ist die Band bis Jahresende spielfähig. Dann gibt es noch 20 hauptamtliche Musiker, die bis 2009 aufgrund der geltenden Beschäftigungsgarantie gültige Verträge haben oder unkündbar sind. Weil sie nicht auf die Straße gesetzt werden können und es in der Berliner Verwaltung für studierte Musiker keine Verwendungsmöglichkeit gibt, werden die Frauen und Männer am 1. Januar 2004 beim Brandenburgischen Polizeiorchester Asyl finden. Die Kapelle des Nachbarlandes verfügt über 49 Musikerstellen, 7 davon sind aufgrund der Haushaltssperre nicht besetzt.

Der Senatsbeschluss, in der Orchesterfrage mit Brandenburg zu kooperieren, datiert vom Sommer dieses Jahres. Die Berliner Musiker werden dem Brandenburger Orchester assoziiert, bleiben aber Beschäftigte des Landes Berlin, das auch ihr Gehalt weiterzahlt. Mittel- bis langfristig ist in dem Kooperationsvertrag aber vorgesehen, dass die Berliner die freien beziehungsweise frei werdenden Stellen im Brandenburger Orchester besetzen. Von diesem Moment an werden sie auch von Brandenburg bezahlt.

Einerseits sei er froh, dass die Musiker in Brandenburg unterkommen, sagt Dirigent Feigel. Aber gemessen an dem, was in den vergangenen zwei Jahren insgesamt an Möglichkeiten ausgelotet wurde, sei es nur eine Minimallösung. Richtig ist: Den großen Wurf, die Fusion der beiden Orchester als gleichwertige Partner zu einem Gesamtklangkörper, haben die politisch Verantwortlichen nicht gewagt. Dabei hätte eine Fusion auch nicht mehr gekostet, hat Feigel ausgerechnet. Im Gegenteil. Die Gesamtkosten für beide Kapellen, sagt er, hätten unter vollständiger Vermeidung von sozialen Härten von 3,25 Millionen Euro im Jahr 2002 auf 1,7 Millionen Euro um knapp die Hälfte bis 2009 gesenkt werden können.

Eine Weile hatte es so ausgesehen, als ob die Fusion klappen würde. Nicht nur Ehrhart Körting, auch sein brandenburgischer Gegenpart, Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), schien ernsthaft interessiert. Schönbohm war während seiner Zeit als Berliner Innensenator zum Fan des Berliner Polizeiorchesters geworden. Aber dann trat Funkstille ein. Nach der Enttarnung von zwei V-Männern in der Neonazi-Szene hatte das brandenburgische Innenministerium andere Sorgen. Aber auch später wurde das Gespräch über eine Fusion nicht mehr aufgenommen. Stattdessen war nur noch von einer Assoziierung der Berliner die Rede.

Denkbar ist, dass die Brandenburger einen Rückzieher machten, weil sie keine Lust hatten, die Finanzprobleme der Berliner zu lösen. Die Frage ist nur: Wenn die Fusion nicht einmal im Kleinen klappt, wie soll es da im Großen möglich sein? Wie groß die Zweifel sind, hat der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) vor zwei Tagen offenbart: Es sei völlig offen, ob angesichts der Berliner Finanzprobleme überhaupt eine Fusion in absehbarer Zeit möglich sei.

Ein modernes Polizeiorchester als Vorwegnahme der Länderfusion, das sich die Kosten teilt und auf hohem Niveau arbeitet, hätte ein großer Wurf sein können, meinen viele. Im Vergleich dazu sei der jetzige Beschluss Flickschusterei. Für 79 Musiker habe das Brandenburgische Orchester Räume. Was bedeutet: Berliner bleiben in Berlin stationiert, haben ein paar gemeinsamen Auftritte mit den Brandenburgern, absolvieren ansonsten aber Kleinkonzerte und dümpeln mehr oder weniger vor sich hin.

Auch wenn es über lange Strecken anders aussah: Der Dirgent Peter Feigel wird dem assoziiertem Orchester nicht erhalten bleiben. Feigel hatte lange für eine Fusion gekämpft. Versuche aus Brandenburg, ihn vorzeitig auf die vakante Stelle des pensionierten Orchesterleiters abzuwerben, hatte er in der Vergangenheit stets mit den Worten pariert. „Ich komme, aber nur mit den Berliner Musikern zusammen.“ Im Sommer, als klar war, dass aus der Fusion nur eine Assoziierung wird, hatte er sich schließlich doch zu einer offizellen Bewerbung entschlossen. Nachdem er als einziger Bewerber nach Potsdam zum Vordirigat eingeladen worden war, stand für die Mehrheit des Orchesters fest: Wir wollen den Mann.

Was dann passierte, ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Feigel sagt, er habe nach dem Vordirigat keine Silbe mehr vom brandenburgischen Innenministerium gehört. Nach vier Wochen habe er in einem an Schönbohms Innenstaatssekretär gerichteten Schreiben mitgeteilt, dass er seine Bewerbung zurückziehe, gleichzeitig aber um ein schnellstmögliches Gespräch gebeten. Aber auch dazu sei es nicht gekommen.

Gerüchte besagen, Feigel habe wegen eines anderen Angebots abgesagt. Seine Einstellung sei nur durch die Haushaltssperre in Brandenburg verzögert worden. Feigel sagt dazu: „Ich habe andere Angebote, aber nichts unterschrieben.“ Was Brandenburg mit ihm gemacht habe, sei unprofessionell und schlechter Stil. „Wenn ich jemandem will, lasse ich ihn nicht wochenlang warten, sondern sage, dass es an der Haushaltssperre hängt, und spreche mit ihm über die Zukunftskonzeption.“

Aus dem brandenburgischen Innenministerium verlautet auf Nachfrage: Man wolle den Vorgang heute nicht kommentieren. Der Einzige, der sich äußert, ist der Polizeipräsident von Potsdam, Bruno Küpper. „Ich bedaure die Absage sehr, wir hätten Feigel gern gehabt.“

Egal was nun die Gründe sind: Die Sache ist gelaufen. Der bisherige kommissarische Leiter des Brandenburgischen Orchesters, Jürgen Bludowsky, ist inzwischen zum Chef ernannt worden. Ob das ein gute Entscheidung war, wird sich zeigen. Feigel steht für Klassik, Jazz und Avantgarde. Bludowsky für traditionelle Blasmusik und Happy Sound. Über die Weiterexistenz des Orchesters wird aber nicht nur die Musikrichtung entscheiden. Vor allem wird es darauf ankommen, dass die Band gut gemanagt und vermarktet wird. Denn auch in Brandenburg sind die Kassen leer. Auch in der Mark gibt es Stimmen, die meinen, das Land brauche eigentlich kein hauptberufliches Polizeiorchester. Bludowsky jedenfalls blickt zuversichtlich in die Zukunft. „Ich freue mich darauf, den Berlinern eine neue Heimat zu geben“, sagt er. Der Termin für das erste gemeinsame Konzert steht auch schon fest: am 18. Januar im Nikolaisaal in Potsdam.

Zunächst gilt es aber erst einmal, das Konzert am Sonntag beim RBB hinter sich zu bringen. Abschiedslieder, steht für Feigel fest, werden nicht gespielt: „Das geht zu sehr an die Substanz.“ Zumindest nicht im Hauptprogramm. Da wollen die Musiker noch mal zur Höchstform auflaufen und einen symphonischen Querschnitt ihres Könnens zum Besten geben. Spätestens dann aber, wenn die Zugaben dran sind, ist für Fans in den Reihen der Polizei wohl die Zeit gekommen, das Taschentuch zu zücken. Wenn es heißt „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“. Zum Schluss kommt’s ganz dicke: „Das ist die Berliner Luft.“

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