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Archiv-Artikel

Für eine Handvoll Euro

Wer legt Ringo Schröder und seinen Kumpanen das Vermittlungshandwerk?

Was bisher geschah: Zerrüttet von Rezession, Sklerose und fortschreitender Demenz fürchtet der alte Joe Rau, Bürgermeister von Tombstone, um das Seelenheil seiner Mitbürger. Er aktiviert seinen Draht nach oben und engagiert den roten Rächer Santa Claus und seine Xmas-Men, um den Strauchdieben Ringo Schröder, Doc Fischer, Ed Stoiber, Angie „Crumble Face“ Merkel und Kid Koch das Handwerk zu legen, die das County mit neoliberalem Terror überziehen.

Santa Claus und seine Gang kämpfen sich durch den Schneesturm bis vor die Stadt. Mit zusammengekniffenen Augen blicken die Männer auf eine Reihe ungelenk bemalter Schilder, die den Weg wie Grabsteine säumen: „Wegen Reformstau geschlossen“, „Ausländer raus“, „Betteln sinnlos, wir geben nix“, „Geiz ist geil“. Vom Galgen herüber weht klagendes Ächzen, sobald eine Böe den leblosen Körper von Buffalo Blüm ins Schwingen bringt. Santa Claus’ Lippen verziehen sich zu einem schartigen Lächeln. Das würde ein heißer Tanz werden.

Die Xmas-Men drücken den Rentieren die Sporen in die Seite. Als sie die ersten Häuser erreichen, werfen ihre Silhouetten im Mondlicht lange Schatten. Die Stadt liegt da wie tot. Nur aus dem „Club der Melancholie“ dringt gedämpftes Gläserklirren und ein trauriges Lied. Es geht so: „Sie warten auf Reformen, den Mann von Bofrost, auf Godot, / auf das Glück im Lotto, freie Fahrt nach Stop and Go, / sie warten auf die Liebe, den Bus, auf ich weiß nicht was, / mancher wartet ewig und beißt drüber hin ins Gras.“

Die Xmas-Men steigen ab und klopfen die Flocken von den roten Staubmänteln. Mit geübtem Griff ziehen sie die Winchesters aus dem Futteral. Santa Claus postiert Domino, Candlelight und Butch Nutcracker vor dem Saloon. Dann drückt er die Schwingtür durch und mustert die Kaschemme. Es ist ein Bild des Jammers, das der Rächer in letzter Zeit viel zu oft gesehen hat: Der feiste Bankdirektor, die ausgezehrten Mädchen, dumme Landeier und ein paar arbeitslose Trinker, die vor ihren Gläsern schnarchen. Am runden Pokertisch ziehen Doc, Ed, Crumble Face und Kid einem Sozialhilfeempfänger die Stütze aus der Tasche. Ringo Schröder steht mit einer halbleeren Flasche Rum an der Bar. Er blickt glasig zur Bühne, wo die blonde Dolly Köpf noch immer ihr trauriges Lied singt: „Du sitzt allein am Fenster, den Rum trinkst du jetzt pur, / du tust dir entsetzlich leid, und fragst dich warum nur?“

Der Song ist ein Hit. Jeder, der noch lallen kann, grölt den Refrain mit. Am lautesten grölt Ringo Schröder: „Willkommen im Club der Melancholie! Legen’se doch ab, wir warten schon auf sie. / Links ist der Trübsaal, das Klo, das ist gleich da. / Willkommen im Club, wir sehn uns an der Bar …“

Plötzlich bricht Dolly ab, und starrt auf den Mann in der Schwingtür. „Fröhliche Weihnachten, Ringo“, Santa Claus’ Worte fallen wie Peitschenhiebe in die Stille, „es ist Zeit für die Bescherung. Ich warte draußen“.

Ringos Männer sind aufgesprungen und drängen hinter ihrem schwankenden Boss auf die Straße. „Ringo, sag deinen dreckigen Bastarden, sie sollen sich raushalten, das geht nur uns beide an.“ Santa Claus spannt den Hahn seines 45er Colt Special Longline und gibt Candlelight ein Zeichen.

Aber der Texaner hat das Kaltblut Babyface Wulff auf dem Hoteldach längst gesichtet. „Mit Southside Huber und Westerwave sind es siebzehn“, schnarrt Domino und starrt angestrengt in das Dunkel hinter dem Corall. Zwischen Kid Kochs Schweinebacken hängt ein fauliges Grinsen. „Woll’n sehen, ob ihr wirklich so gut seid, wie man überall erzählt“, raunzt er und spuckt ein Stück Asylrecht in den Schneematsch. Eine Ewigkeit ist nichts zu hören als das Mahlen von Ed Stoibers dritten Zähnen. Da durchschneidet ein scharfes Sirren die Luft. „Pass auf! Es geht los“, schreit Candlelight. Er stößt Santa Claus beiseite und jagt eine Salve Hartz II aus seiner Winchester. Baby Face Wulff kracht mausetot aufs Pflaster.

„Goddam“, stöhnend zieht sich Domino einen blutigen Tarifvertrag aus der Hüfte. Ringo Schröder ist hinter dem Arbeitgeberlager abgetaucht. Seine Leute nehmen die Xmas-Men jetzt von drei Seiten unter Feuer. „Geht in Deckung“, krächzt Domino mit sterbender Stimme und lässt seinen Peacemaker zum letzten Mal sprechen. Kid Koch und „Crumble Face“ Angie brechen von zwei Steuersenkungen getroffen zusammen. Santa Claus erwischt Stoiber mit einer Drei-Zoll-Entfernungspauschale. Dann jagt Butch Nutcracker Doc Fischer eine Ladung grobe Subventionskürzungen in den Leib. Fluchend und ununterbrochen feuernd robbt Ringo Schröder an den Doc heran. Er hat gerade den alten Joe Rau erledigt, da zerreißt ein jäher Schmerz seine Brust. Schwer atmend schlägt er neben dem sterbenden Freund zu Boden. Er weiß mit einem Mal, auch sein Weg ist zu Ende.

Das Donnern des Verwaltungsausschusses rollt nur noch weit entfernt wie die Dünung des Meeres an sein Ohr, alles verschwimmt vor Ringos blauen Augen. Das Letzte, was er sieht, ist Dolly, die seinen Diplomatenpass mit Tränen benetzt. Im Abspann verklingt das traurige Lied: „Das Allgemeine sehn wir doppelt, dem Besondren fehlt Kontur, / wir tun uns entsetzlich Leid und fragen: Warum nur? / Warum nur? Warum …“

MICHAEL QUASTHOFF