: Reiche Ernte bei „Mr. Poppy“
AUS DSCHALALABAD SVEN HANSEN
Abdul Wakil aus Dschalalabad ist ein guter Fahrer, aber zu dieser Fahrt qualifiziert ihn besonders seine Vergangenheit als Mudschahed. Denn in den 80er-Jahren kämpfte er hier im Hinterland der ostafghanischen Provinz Nangarhar für den Islamistenführer Gulbuddin Hekmatjar gegen die sowjetische Armee und deren Statthalter. Wakil kennt sich hier bestens aus. Er habe damals als Erster mit einer amerikanischen Stinger auf sowjetische Hubschrauber gefeuert, erzählt er. Die tragbaren Raketen waren kriegsentscheidend.
Heute jagen in dieser Grenzregion zu Pakistan US-Spezialeinheiten den aus Sicht der USA vom Freiheitskämpfer zum Terroristen mutierten Hekmatjar. Der kämpft jetzt mit den Taliban gegen Amerikaner und die Regierung Hamid Karsais. „Hekmatjar ist ein schlechter Mensch,“ meint Wakil. Er selbst floh einst vor den Taliban nach Pakistan.
Nach einer halben Stunde hält der Wagen in Miran. Das Dorf lebt wie ein Großteil der Region von der Produktion von Opium, dem Rohstoff für Heroin. Laut dem UN-Büro für Drogen und Verbrechen (UNODC) ist Nangarhar inzwischen Afghanistans Provinz mit der höchten Opiumproduktion. 23 Prozent des afghanischen Opiums stammen von hier.
Opium statt Weizen
Beim Dorfladen wartet Mirwais. Wie alle in Miran möchte er seinen richtigen Namen nicht nennen. Mirwais ist der Einzige im Dorf aus 2.000 Familien, der ein Landwirtschaftschaftskolleg besuchte. Die Bauern nennen ihn nach dem englischen Namen der Mohnpflanze, aus der das Opium gewonnen wird, ehrfurchtsvoll „Mister Poppy“. Mirwais ist hier der Opiumexperte.
Er lässt drei hölzerne Bettgestelle auf den Dorfplatz tragen, die Gäste bekommen Tee, und die Diskussion mit vierzig Opiumbauern beginnt. „Das Dorf wurde in der kommunistischen Zeit zerstört“, erklärt Mirwais und zeigt nach hinten. „Dort hinterm Fluss waren die Mudschaheddin.“ Früher bauten die Bauern hier Zuckerrohr, Reis und Weizen an. Die Kommunisten hätten begonnen, den Bauern niedrige Preise für ihre Produkte zu diktieren. Als die Mudschaheddin die Kontrolle übernahmen, sei mit dem Opiumanbau begonnen worden, bis die Taliban dies verboten. Jetzt wird wieder gesät: „Letztes Jahr hat die Hälfte des Dorfes Opium angebaut, in diesen Tagen werden zwei Drittel der Bauern hier Schlafmohn säen“, sagt Mirwais.
Die Anwesenden bestätigen das. „Wir haben nur wenig Land, keine Fabriken oder Büros. Wir haben keine Klinik und nicht mal eine Schule“, klagt ein Bauer, der vor einem Jahr aus Pakistan zurückkehrte und ein zerstörtes Haus vorfand. „Viele hier haben gewartet, dass uns die Regierung hilft“, sagt Mirwais, „doch da dies nicht geschah, bauen wir Opium an.“ Manche hätten zunächst Präsident Karsais Verbot beachtet. Doch da diejenigen, die weiter angebaut hätten, nicht bestraft worden seien, bauten immer mehr Opium an.
„Der Koran sagt, wir sollen es nicht pflanzen. Doch er sagt auch, wir müssen unsere Familie ernähren. Bauen wir kein Opium an, werden unsere Kinder hungern“, sagt Bauer Hasrat. In der letzten Saison habe er auf einem Sechstel seines 1,2 Hektar großen Landes Schlafmohn angebaut und dafür brutto umgerechnet 1.800 Dollar erhalten. Jetzt will er die Produktion steigern. Letzte Woche seien Händler aus Pakistan gekommen und hätten den Bauern Kredit gegeben, die Opium anbauen. Über die Bedingungen will niemand sprechen.
Durch Opium erziele er 20-mal mehr Einkommen als mit Weizen, erklärt Hasrat. Der Opiumpreis sei zwar wegen des starken Produktionsanstiegs gefallen, doch das gelte nach einer Rekordernte auch für Weizen.
Vor drei Jahren baute niemand in Miran Opium an. „Die Taliban kamen und kontrollierten, dass wir uns an ihr Verbot halten“, sagt Bauer Baschir. Zuvor hatten die Taliban den Opiumanbau nur besteuert und damit ihre Kriegskasse gefüllt. Um für internationale Anerkennung zu werben, verhängte Talibanchef Mullah Omar im Juli 2000 ein Anbauverbot, das brachial durchgesetzt wurde. Die Opiumproduktion sank um 91 Prozent auf 185 Tonnen bei gleichzeitiger Produktionssteigerung in den von der damals oppositionellen Nordallianz kontrollierten Gebieten. Der Handel mit Opium blieb dagegen weiter erlaubt, sodass das Anbauverbot vor allem die Preise stabilisierte.
„Wir hatten Angst vor den Taliban“, sagt Baschir verbittert. „Sie dachten überhaupt nicht an uns Bauern.“ Das versuchten zumindest die britische und die neue afghanische Regierung, als sie nach dem Sturz der Taliban im April und Mai 2002 Karsais Opiumverbot durchsetzen wollten. Weil schon während der US-Angriffe auf die Taliban im November und Dezember 2001 wieder Opium gepflanzt worden war, sollte der Stoff aus dem Verkehr gezogen werden. Die Bauern sollten entschädigt werden. Die britische Regierung überwies der afghanischen dafür 50 Millionen Dollar. Doch das Geld verpuffte ohne begleitende Maßnahmen wirkungslos, wenn es nicht gar – in der Hoffnung auf eine erneute Entschädigung – als Anreiz zum Opiumanbau wirkte.
Bauer Hasrat sagt: „Ich bekam 300 Dollar dafür, dass ich mein Mohnfeld kurz vor der Ernte vernichtete.“ Die Entschädigung findet er viel zu niedrig, dabei hat er noch Glück gehabt. Denn er bekam den offiziell festgesetzten Preis pro Jerib, wie das afghanische Flächenmaß von einem Fünftel Hektar heißt. Andere Bauern erhielten viel weniger, weil Beamte und Warlords Geld für sich abzweigten.
Versprechen gebrochen
Abdul Ghaus macht daraus keinen Hehl. Er ist Chef der Drogenbekämpfungsbehörde der Provinz Nangarhar. Früher war er Finanzchef des Warlords Hasrat Ali, dem er noch heute verbunden ist. Alis Kämpfer brauchten die USA im Dezember 2001, um Ussama Nin Ladens Bergfestung Tora Bora einzunehmen. Heute kritisiert Ghaus die Provinzregierung. Deren Gouverneur ist der Rivale von Warlord Hasrat Ali. Beide sprechen sich öffentlich gegen den Opiumanbau aus, doch nach Meinung aller Befragten dulden sie den Drogenanbau ihrer eigenen Unterstützer, wenn sie nicht gar selbst darin verwickelt sind.
„Die Bauern bauen jetzt noch mehr Opium an“, sagt der Drogenbekämpfer. „Wir haben versprochen, ihnen mit Saatgut und Bewässerung zu helfen. Aber wegen wirtschaftlicher Probleme konnte die Regierung in Kabul dies nicht halten.“ Ein nur gewaltsames Vorgehen hält er für erfolglos: „Die Bauern werden sich wehren.“ Das bestätigt Guhlhaliq Schinwari, der im Gegensatz zu den Bauern aus Miran selbstbewusst seinen Namen nennt. Der 48-jährige Stammesführer und Finanzbeamte aus dem Schinwar-Distrikt an der pakistanischen Grenze baut schon immer Mohn an. Als im vergangenen Jahr die Regierung 40 Polizisten und Soldaten in den Bezirk schickte, rückten diese schnell wieder ab. „Denn wir waren tausend Bewaffnete“, sagt Schinwari. 3 Frauen, 13 Söhne, 16 Töchter und 17 Enkel müsse er ernähren. Das könne auch ein Finanzbeamter nur mit Opiumanbau.
Der Finanzminister Aschraf Ghani warnt indessen, Afghanistan drohe Beute von „Narkoterroristen“ zu werden. Laut Berichten finanzieren die Taliban ihre wiedergewonnene Stärke mit Drogen. Außenminister Abdullah Abdullah bezeichnete den Drogenanbau als größtes Problem nach dem Terrorismus. Der offizielle Plan sieht vor, den Opiumanbau bis 2007 um 70 Prozent zu reduzieren und bis 2013 ganz auszumerzen. Diplomaten glauben nicht, dass die schwache Karsai-Regierung es sich vor den frühestens für Juni geplanten Wahlen leisten kann, ernsthaft gegen den Drogenanbau vorzugehen. Dies hieße, die Warlords, auf deren Unterstützung Regierung wie Amerikaner bei ihrem Kampf gegen die Taliban und al-Qaida angewiesen sind, direkt herauszufordern.
Beispiel Kolumbien?
In Kabul kursieren derzeit Pläne für eine Drogenkonferenz im Frühjahr, auf der sich die internationale Gemeinschaft absprechen will. Gerüchten zufolge plant die US-Regierung ein militärisches Vorgehen wie in Kolumbien. Einige Bauern wollen schon erlebt haben, wie ihre Mohnfelder von US-Hubschraubern mit Pflanzenvernichtungsmitteln besprüht worden sind. Doch ohne wirtschaftliche Anreize dürfen sich nur wenige Bauern fügen. „Für 100 Dollar im Monat würde hier jeder Bauer auf den Opiumanbau verzichten“, sagt Opiumexperte Mirwais beim Abschied von Miran. Das Geld wollten die Bauern nicht geschenkt haben, sondern ehrlich verdienen. Der alte Kämpfer und jetzige Fahrer Wakil äußert sich auf der Rückfahrt skeptisch. „Hier gibt es nur zwei Methoden, zu Geld zu kommen: mit der Waffe oder mit Opium. Wichtig ist, dass es ein lokales Gleichgewicht gibt, sonst bringen sich die Menschen hier gegenseitig um.“