piwik no script img

Archiv-Artikel

„Meine Filme kritisieren nicht“

„Brutalität und Schönheit stehen in einem inneren Zusammenhang“: In seinem Film „Samaria“ erkundet Kim Ki-Duk die Kinderprostitution. Ein Gespräch mit dem koreanischen Regisseur über Gewalt als Körpersprache, reglose Darstellergesichter und die Überwindung eines Minderwertigkeitskomplexes

INTERVIEW ANDREAS BUSCHE

taz: Herr Kim, Sie haben Ihre Art des Filmemachens einmal folgendermaßen erklärt: „Ich sehe etwas, das ich nicht verstehe, und mache einen Film dar über.“ Was haben Sie gesehen, das Sie zu „Samaria“ inspiriert hat?

Kim Ki-Duk: Es ging mir in „Samaria“ vor allem darum, Menschen, die in Kinderprostitution verwickelt sind, als Menschen zu begreifen – und nicht als Kriminelle.

Ist Kinderprostitution ein Symptom für den Zustand der koreanischen Gesellschaft?

Das ist zu einem gewissen Grad nicht falsch. Aber so weit braucht man gar nicht zu gehen. Eher würde ich Kinderprostitution im größeren Zusammenhang mit dem menschlichen Naturell verstehen.

Trotzdem erzählen Ihre Filme immer wieder vom Rande der koreanischen Gesellschaft. Würden Sie sich als sozialkritischen Filmemacher beschreiben?

Meine Filme kritisieren nicht. Ich versuche nicht zu beschönigen, sondern zeige ganz einfach, in welchem Zustand sich die koreanische Gesellschaft momentan befindet und wo etwas zu tun ist. Ich halte nicht viel davon, das Publikum zu bevormunden; es muss seinen eigenen Zugang finden. Die Filme von Ken Loach zum Beispiel zeigen eine manipulierte und verdorbene Gesellschaft, klären aber zugleich über sie auf. Die Botschaft ist in seinen Filmen ganz präsent. Im Vergleich zu Ken Loach bin ich nur der Regisseur, der diese Bilder seinem Publikum anbietet. Ich fühle mich gar nicht dazu berechtigt, jemanden zu beurteilen oder gar zu beschuldigen. Wie kann man annehmen, die Gesellschaft mit einem Film verbessern zu können? Die Wurzeln liegen einfach zu tief. Trotzdem möchte ich in meinen Filmen auch die schönen, guten Seiten dieser Gesellschaft zeigen. Unser Leben wird jeden Tag aufs Neue durch die Gesellschaft geprägt, das Schlechte, Verdorbene, Kranke – das sind unsere natürlichen Lebensumstände. Dennoch kann man überall auch eine Schönheit und den wahren Wert des Lebens entdecken.

In Ihren Filmen wird diese Schönheit jedoch oft von Gewalt und Hass verdeckt.

Man sagt über meine Filme zwei Dinge: Die Bilder sind ästhetisch sehr schön. Und sehr brutal. Es wird dabei aber übersehen, dass Brutalität und Schönheit in einem inneren Zusammenhang stehen. Manchmal muss man zur Waffe greifen, um Frieden zu bewahren. Das gilt nicht nur für die großen Kriege zwischen Nationen, sondern auch für die kleinen, alltäglichen Kämpfe. Die Menschen kämpfen jeden Tag für ihr persönliches Glück. Und so wie Frieden oft erst durch Kriege gesichert wird, wird auch die Schönheit oft erst durch Brutalität bewahrt. Das ist ein Grundprinzip des Lebens: Diese Extreme gehören unauflöslich zusammen.

Das ist eine Aussage, die man in westlichen Gesellschaften nur widerwillig unterschreiben würde.

Lassen Sie mich das erklären: In Korea ist es sehr schwer, sein eigenes Glück zu finden und es sich zu bewahren. Die Menschen dort sind unglaublich angespannt. Sie leben in ständiger Angst, dass jemand ihnen ihr Lebensglück entreißen könnte. In diesem Sinne bin ich immer Täter, weil ich mein Glück zu verteidigen versuche – und gleichzeitig Opfer, weil die anderen bereit sind, mir für ihr eigenes Glück etwas wegzunehmen. Den Grund für diesen Zustand findet man meiner Ansicht nach in der Vergangenheit Koreas: dem Koreakrieg und der späteren Besatzung durch die USA. Diese beiden Ereignisse haben den Charakter des koreanischen Volkes nachhaltig geprägt: Er war zunächst hektisch, sehr unsicher und sicher auch aggressiv. Und auf einmal kam der Kapitalismus und mit ihm der Wirtschaftsaufschwung. Dieser schnelle Übergang von der tragischen Vergangenheit zum florierenden Kapitalismus ist sicher für diese koreanische Täter-Opfer-Mentalität mitverantwortlich.

Zwischen 1990 und 1994 haben Sie ihn Paris Malerei studiert. Wie kam es dazu? In einem früheren Interview sprachen Sie über Ihre persönlichen Vorbehalte gegenüber der koreanischen Gesellschaft und Ihre eigene Unsicherheit, die in diesem gesellschaftlichen Klima erzeugt wurde.

Das Lebensgefühl in Frankreich ist ungleich leichter. In Korea hatte ich immer das Gefühl, es ohne einen Schulabschluss zu nichts zu bringen. Sie müssen verstehen, dass die koreanische Gesellschaft in vielen ihrer Ansichten sehr voreingenommen ist. Andererseits habe ich durch meinen Minderwertigkeitskomplex auch viel über mich selbst erfahren. Doch erst in Frankreich schaffte ich es, dieses Gefühl der Wertlosigkeit zu überwinden. In Frankreich habe ich ganz grundsätzliche humanistische Werte kennen und schätzen gelernt. Das wiederum hat auch meinen Blick auf Korea nachhaltig verändert. Für mich ist und bleibt Korea das schönste Land.

Warum kommen Frauen in Ihren Filmen fast ausnahmslos als Prostituierte vor?

Meine Filme müssen eher durch ihre Bilder als durch ihre Geschichte verstanden werden. Die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau ist in Korea tatsächlich immer noch weit verbreitet. Gesellschaftlich wird das heute kaum noch wahrgenommen, es reicht jedoch weit in unsere Geschichte zurück. Ich muss allerdings zugeben, dass auch ich diesen Umstand manchmal aus purer Unachtsamkeit als gegeben hinnehme. Davor ist man niemals gefeit.

Ihre Filme finden für die Erforschung der „condition humaine“ stets außergewöhnliche und sehr symbolbehaftete zwischenmenschliche Konstellationen. Die verlassene Seekolonie in „The Isle“, das Schicksal eines amerikanisch-koreanischen Jungen in „Address Unknown“ und nun ein Mädchen, das Absolution darin sucht, mit fremden Männern zu schlafen. Können Sie universale Wahrheiten nur in Extremsituationen finden?

Ich werfe meine Figuren bewusst in verwirrende Situationen, weil mich das Innenleben dieser zerrissenen menschlichen Wesen fasziniert. Vielleicht versuche ich auch nur herauszufinden, ob sie dieselben Attribute und Werte bewegen wie mich. Und ich werde nicht müde, das zu erforschen – wahrscheinlich bis zu meinem Tod.

Ihren letzten Film „Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling“ nannten Sie Ihren „buddhistischen Film“. In Samaria“ vermischen sich nun buddhistische Symbole und christliche Ikonografie.

Ich hege keine religiösen Vorurteile. Ich glaube daran, dass jede Religion fest in ihrer regionalen Geschichte und dem dort vorherrschenden Wertebewusstsein verankert ist. Meiner Meinung nach sind alle Religionen gleichwertig, und selbst Philosophien, Wissenschaften und Gesellschaften sind in ihren Grundfesten nichts anderes als Religionen.

Im Vergleich zu Ihren frühen Filmen schlagen Sie heute einen deutlich versöhnlicheren Ton an. Haben Sie einen neuen Zustand der Freiheit erlangt, nachdem Sie Ihrer Wut mit Ihren Frühwerken Luft gemacht haben?

Für mich ist das ein ganz natürlicher Prozess. Ich habe nie bewusst versucht, die grausamen Elemente in meinen Filmen zu reduzieren. Diese Geschichten sind einfach da. Sicherlich könnte ich brutalere Filme machen, doch ich finde nicht einmal, dass meine frühen Filme so viel grausamer als meine letzten sind.

Sie haben die Gewalt in Ihren Filmen einmal als Körpersprache, als körperlichen Ausdruck, bezeichnet. Wie meinten Sie das?

Der Begriff der Körpersprache ist vielleicht etwas missverständlich. Brutalität entsteht in meinen Filmen erst durch die Unfähigkeit zur Sprache. Damit will ich nicht sagen, dass Gewalt ein richtiges Mittel der Verständigung ist. Es ist im Gegenteil eine sehr traurige gesellschaftliche Tatsache. Trotzdem glaube ich, dass der Einsatz körperlicher Mittel zur Konfliktbeseitigung manchmal unvermeidlich ist. Im Grunde ist auch Krieg nichts anderes als eine Sprache. In diesem Kontext von politischer Diplomatie ist die Gewalt in meinen Filmen geradezu trivial.

Die Art und Weise, wie Ihre Figuren agieren, das fast ausdrucks- und emotionsloses Spiel, erinnert an Regisseure wie Bresson und Ozu. Objekte spielen in Ihren Filmen oft eine größere Rolle als Worte.

Ich möchte, dass alles in meinen Filmen so lebendig wie möglich erscheint. Das geht so weit, dass ich versuche, meinen Requisiten Leben einzuhauchen. Der Zuschauer soll genau diesen Blick für meine Filme entwickeln. Aus diesem Grund verleihe ich der Mise en Scène hin und wieder mehr Gewicht als meinen Schauspielern.

Sie bezeichnen Ihre Methode des Filmemachens als „semiabstrakt“. Ihre Filme wechseln permanent zwischen dem Reich des Realistischen und des Poetischen. Hilft Ihnen diese Poesie zum besseren Verständnis der Realität?

„Es schwierig zu sagen, ob die Welt, in der wir leben, Realität oder doch nur ein Traum ist.“ Ich glaube an diesen Satz. Darum kann ich manchmal in meinen Träumen schwelgen und manchmal in der Realität. Und darum mag ich es zu träumen, auch wenn ich nur ein kurzes Nickerchen halte – selbst wenn es ein Albtraum ist.