Die italienische Politik der zwei Defizite

Die Regierung in Rom ärgert sich über die Brüsseler Kritik an ihren Haushaltszahlen. Dabei mahnt die EU-Kommission schon seit Januar eine solidere Politik an. Doch Berlusconi verspricht lieber Steuergeschenke für die Besserverdiener

ROM taz ■ „Mit Akten oder Wörterbüchern haben wir einander nicht beworfen“ – so blumig beschrieb Italiens Schatzminister Domenico Siniscalco die Atmosphäre in seinem Vier-Augen-Gespräch mit Joaquín Almunia. Dabei ging es bei dem Tete-a-tete in Brüssel um nicht weniger als die schweren Bedenken des EU-Kommissars gegen die italienischen Haushaltszahlen.

Und so heiter war das Gespräch wohl auch nicht, denn Italien ist gleich doppelt unter Druck. Erstens hatte Almunia ernste Zweifel an der Solidität des italienischen Haushalts 2005 geäußert. Und zweitens hatte die Financial Times mit der Veröffentlichung eines EU-Kommissionsberichtes nachgesetzt: Fast schien da ein zweiter Fall Griechenland am Horizont, monierten doch die Experten „Unstimmigkeiten“ in der italienischen Haushaltsführung seit 1997.

Das Problem: Seit Jahren klaffen in Italien die Zahlen zwischen dem offiziell nach Brüssel gemeldeten Defizit und dem „fabbisogno di cassa“, dem effektiven „Kassenbedarf“, des italienischen Staates auseinander; beide Ziffern wichen in einzelnen Jahren um bis zu 1,7 Prozent voneinander ab. Zudem wollen die Brüsseler Prüfer festgestellt haben, dass die von Italien gemeldeten Zahlen der jährlichen Neuverschuldung und des Abbaus des Gesamt-Schuldenberges nicht zueinander passen.

Die Probleme sind in Rom bekannt und werden nicht geleugnet – schon im letzten Jahr war eine Arbeitsgruppe von Vertretern des Schatzministeriums, des Statistischen Amtes und der Banca d’Italia eingesetzt worden, um endlich Eindeutigkeit bei der Bilanzierung der italienischen Staatsschulden zu schaffen.

Umso erboster ist man in Rom über die Vermischung dieses Punktes mit den aktuellen Fragen des Staatshaushaltes 2005. „Kalt und ohne Voransage“ sei Almunias Angriff auf Italien erfolgt, behauptet das Berlusconi-Blatt Il Giornale, das zugleich eine Verschwörung der italienischen Opposition mit dem aus den Reihen der spanischen Sozialisten stammenden Almunia wittert.

Doch wundern darf die Regierung in Rom sich eigentlich nicht. Schon seit Januar bekommt sie aus Brüssel gesagt, dass die Kommission italienische Steuersenkungen nur absegnen kann, wenn die solide gegenfinanziert sind. Brüssel hatte auf strukturellen Ausgabenkürzungen „in nie da gewesenem Maße“ bestanden und zugleich vor der Deckung der Steuergeschenke durch Einmalmaßnahmen gewarnt.

Eben diese Bedingungen sind offenkundig nicht erfüllt. Silvio Berlusconi hat für nächstes Jahr Steuergeschenke vor allem für die höheren Einkommensgruppen in Höhe von etwa 6 Milliarden Euro beschlossen. Auf der anderen Seite aber steht als Hauptposten der Eingang von 2 Milliarden Euro aus den Strafgebühren für die letztes Jahr beschlossene Amnestie von Schwarzbauten. Das ist nicht bloß eine nicht zu wiederholende Einmal-Einnahme; vor allem steht vollkommen in den Sternen, ob diese 2 Milliarden je in die Staatskassen fließen werden, denn bisher haben viel zu wenige Bürger eine Amnestie beantragt. MICHAEL BRAUN

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