: Weihnachtsball in Lipperland
Der TBV Lemgo zieht nach dem 32:27 Rückspiel-Sieg gegen Ljubljana in das Viertelfinale der Champions-League ein. Im Osten Westfalens singen sie schon vor Weihnachten
VON DIRK DÖRMANN
Der Lipper an sich gilt gemeinhin als komischer Kauz. Ein undurchsichtiger Menschenschlag, der nur schwer einzuschätzen ist. Doch sobald der TBV Lemgo seine Anhänger in die Lipperlandhalle ruft, ist klar, was passiert. Stakkatohaftes Klatschen, kombiniert mit einer Blaskapelle, einer Pauke und einer Hupe machen aus dem Lipper einen enthusiastischen Fan, der sein Team bedingungslos nach vorne treibt. So bedankte sich auch Volker Mudrow, Coach des amtierenden Deutschen Meisters, höflich bei seinen Anhängern insbesondere für deren Leistung in der zweiten Halbzeit. Dort drehten seine Jungs mächtig auf und schossen den slowenischen Vertreter Prule 67 Ljubljana letztlich sicher mit 32:27 (15:15) aus der Halle. Die Geräuschkulisse in der Halle nahm die Formen an, die dem ruhigen Ostwestfalen sonst eher nicht zugeschrieben werden.
Im neuen Jahr geht der Kampf um die europäische Krone für den Lipper weiter. „Jetzt bloß keine deutsche Mannschaft“, wünschten sich Daniel Stephan und Christian Schwarzer unisono. Schließlich handele es sich bei der Champions-League doch um einen europäischen Wettbewerb. Eine solche Konstellation ist allerdings durchaus denkbar. Titelverteidiger Magdeburg hat sich für das Viertelfinale qualifiziert. Flensburg Handewitt könnte nachziehen. Dann stünden drei deutsche Mannschaften unter den letzten Acht – Fortsetzung im Februar 2004.
Es war ein schweres Stück Arbeit, die der zweimalige Deutsche Meister vor exakt 3.297 Zuschauern erledigen musste. Mit dem 28:28 Unentschieden im Hinspiel war die Ausgangsposition eigentlich gut. Doch der im ersten Spiel noch glänzend haltende Christian „Eros“ Ramota erwischte zum Entsetzen der Fans keinen überragenden Tag und wurde zur Mitte der zweiten Halbzeit auf die Bank gesetzt. Der in der Bundesliga gefürchtete Tempohandball der Lemgoer fand im ersten Durchgang nicht statt. Insbesondere Florian Kehmann, mit 44 Treffern vor dem Spiel der Top-Torjäger des TBV in der Königsklasse, scheiterte mehrfach am starken slowenischen Keeper Dusan Podpecan. Mehr als zwei Tore Vorsprung schoss kein Team raus. Logische Folge: Zur Pause stand es 15:15. Die Laune der Anhänger sank hörbar. Wäre da nicht der Hallensprecher gewesen. Dieser animierte die Lipper zum gemeinsamen Singen einer äußerst gewöhnungsbedürftigen Variante des Weihnachts-Klassikers „Oh Tannenbaum“. Allerdings erntete er für diese Vorstellung doch eher mitleidiges Kopfschütteln – auch von Manager Fynn Holpert.
Wie gut, dass Lemgo einen Trainer mit Durchblick besitzt. Volker Mudrow, ehemals selbst Spieler beim hiesigen Klub, stellte in der Halbzeit seine Deckung auf 5:1 um, mit der Folge, dass sein Team nun besser in der Abwehr stand. Nun trafen auch die Scharfschützen des TBV genauer und sorgten dafür, dass Lemgo immer in Führung blieb. Knapp acht Minuten vor Schluss hatten sie das erste Mal einen Fünf-Tore Vorsprung herausgeworfen. Entscheidend war in dieser Phase die Wurfsicherheit des Schweizers Marc Baumgartner, der bereit war, in der so genannten Crunch-Time die Verantwortung zu übernehmen. Da blieben auch die Anhänger nicht mehr auf ihren Stühlen kleben und feierten neben dem Eidgenossen auch den eingewechselten Ersatztorhüter Jörg Zereike. Dieser hielt mehrere schwierige Bälle und erschlich sich auf diese perfide Weise die Zuneigung der vorweihnachtlich benebelten Anhängerschaft.
Die große Harmonie in diesem sehr fairen Match störten lediglich die beiden Elfer, Volker Zerbe und Vladimir Matovic. Sie führten eine Art privaten Zweikampf auf dem Parkett aus und ließen so zumindest erkennen, dass es sich um mehr als nur ein Freundschaftsspiel handelte. Nach dem Schlusspfiff der überragenden isländischen Schiedsrichter hatten sich aber alle wieder lieb und freuten sich über das faire Spiel in freundschaftlicher Atmosphäre. Die Ostwestfalen bleiben damit als einzige Mannschaft in der europäischen Königsklasse ungeschlagen.
Wer allerdings glaubt, das Leben eines Handball-Profis in Deutschland sei immer so angenehm, ist auf dem Holzweg. Zumindest wenn für ihn ein ruhiges und besinnliches Weihnachtsfest dazu gehört. Doch wer am Heiligen Abend trainieren muss, am ersten Weihnachtstag nach Mecklenburg-Vorpommern fährt und dort in Stralsund am zweiten Weihnachtstag spielt, ist nicht zu beneiden. „Weihnachten mit der Mannschaft“, sagt Volker Mudrow mit einem hintergründigen Lächeln und der geneigte Zuhörer weiß nicht so recht, ob er sich dabei nicht doch ein wenig freut.