: Von einem Stempel zum nächsten
Die Stadt Köln hat „unerlaubt eingereisten“ Roma-Familien Sozialleistungen entzogen. Begründet wird dies mit angeblichem Sozialhilfebetrug. Das Arbeitsverbot drängt viele Roma in die Illegalität
von KIRSTEN PIEPER
Jovan Rustic* öffnet den Kühlschrank. Sein Blick bleibt an der angebrochenen Verpackung eines Streuselkuchens hängen. Er dreht sie nach allen Seiten – der Kuchen kommt zurück in den Kühlschrank, das ist nichts für Gäste. Der 33-jährige Rustic ist Roma und lebt mit seiner Frau Liliana und den vier Kindern in einem Flüchtlingswohnheim in Köln-Porz. Weil die Polizei ein altes Auto bei dem Familienvater sicherstellte, strich das Sozialamt die Sozialhilfe. Die Behörden vermuten, dass Rustic ein eigenes Einkommen hat – Hilfsbedürftigkeit bestehe von daher nicht. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Sozialhilfebetrug. Seit fünf Monaten lebt die Familie schon ohne Geld.
Die Familie Rustic ist in Köln ein großer Clan. Der Vater und mehrere Brüder leben ebenfalls in Flüchtlingswohnheimen. Sie halten zusammen: „Wir helfen meinem Onkel, so gut wir können mit Lebensmitteln“, sagt Neffe Dragan. Um ein paar Euro für Essen in die Haushaltskasse zu bekommen, geht Liliana mit ihren drei jüngsten Kindern zum Betteln zum nahe gelegenen Einkaufszentrum, erzählt Dragan. „Zusätzlich sucht meine Tante in den Mülltonnen beim Plus nach abgelaufenen Lebensmitteln.“
Rustics Blick schweift durch das 25-Quadratmeter-Zimmer. Das ist sein Reich, ein einziger Raum zum Schlafen, Kochen und fernsehen für sechs Personen. Er zeigt auf die Waschmaschine, die mit Herd und Kühlschrank die Küchenzeile bildet. „Die ist von der Mutter eines deutschen Nachbarn. Sie ist im Krankenhaus gestorben. Die Wohnung wurde aufgelöst.“
Seit die Stadt Köln ihm Sozialhilfebetrug vorwirft, muss Rustic über jeden Gegenstand, den er besitzt, Rechenschaft ablegen. Kurt Holl vom Verein Rom e.V. hält die Auflagen des Sozialamtes für „reine Schikane“. „Die Familien müssen sogar beweisen können, wer ihnen welche Lebensmittel gegeben hat, und zwar mit eidesstattlicher Erklärung.“ Inge Schürmann, Sprecherin der Stadt Köln, bestätigt das. „Wenn ein Auto vorhanden ist, dann muss auch ein Einkommen da sein.“ Mit der Duldung des Aufenthaltes verbindet sich häufig die Auflage, nicht arbeiten zu dürfen. Schürmann sagt jedoch, dass einige „als Zuhälter sehr viel Geld verdienen“.
Seit zehn Jahren lebt Rustic in Deutschland. Im Jahr 1989 flüchtete er aus Ex-Jugoslawien mit Stationen in Bosnien und Italien nach Deutschland. An seinem Status als „unerlaubt Eingereister“ hat sich seitdem nichts geändert. „Ich bekomme jeweils einen Termin, dann muss ich mich wieder melden“, sagt Rustic.
So hangelt er sich im Drei-Monats-Rhythmus von einem Stempel zum nächsten, von einem Termin zum anderen. „Ich will endlich arbeiten, normal wie jeder.“ Und weiter: „Jeder Zeit kann die Abschiebung passieren – man weiß nie, was kommt.“
Die Befürchtung ist nicht ganz unbegründet. Die Stadt Köln hat eine härtere Gangart gegenüber den rund 3.500 „unerlaubt Eingereisten“ eingeschlagen. Das NRW-Innenministerium hatte gegenüber Personen aus Serbien und Montenegro wegen des nahenden Winters einen befristeten Abschiebestopp verhängt. Am vergangenen Mittwoch jedoch, zwei Tage vor dem Ausweisungsverbot, hat das Ausländeramt der Stadt Köln mit der Polizei eine der größten Abschiebeaktionen des Jahres durchgeführt. Nach einer Razzia in 24 Kölner Flüchtlingsheimen wurden 22 Personen ausgewiesen.
Trotz der Angst vor Abschiebung hat Rustic bis jetzt noch keinen Antrag auf Asyl gestellt. Thomas Zitzmann vom Kölner Flüchtlingsrat e. V. erklärt das so: Bei einem Asylantrag käme das „Verteilverfahren „zum Zuge. Dabei werden die Familien nach einem Schlüssel auf das gesamte Bundesgebiet verteilt. Die Folge: „Es kommt zu sozialer Isolation.“ Die Angst, die Familie würde auseinander gerissen, ist stärker als die Angst vor Ablehnung eines Asylantrages.
Nach Serbien zurück möchte Rustic nicht. „Ich habe nichts da, kein Haus, gar nichts.“ Dort gebe es nicht einmal ein „Minimum an Zukunft“. Neffe Dragan: „Dort ist es für uns noch schlimmer.“ Rustic muss beweisen, dass er kein Sozialhilfebetrüger ist. „Das Auto habe ich verkauft.“ Vorerst bleiben die Leistungen jedoch aus. Er müsste Medikamente für die Kinder kaufen. „Die sind alle krank“, laufen mit Schal und Mütze herum. Seine Zukunft in Deutschland bleibt ungewiss. „Es muss so weitergehen, was sollen wir machen.“
* Namen v. d. Red. geändert