Village Voice : Andrew Pekler
Irgendwo auf dem Weg zwischen Gestern und Morgen, zwischen Nacht und Tag, zwischen Wachen und Schlafen ist vergessen, dass Andrew Pekler eigentlich angetreten war, Musik zu machen. Scheinbar ohne Pause ziehen die Klanglandschaften vorbei, schwerelos und anmutig, vorsichtig tippelnd und graziös schreitend, bis sie schließlich verschmelzen zu einem einzigen großen Soundeindruck, der sich aufs Gemüt legt wie Schleier auf die Netzhaut: Man spürt „Nocturnes, False Dawns & Breakdowns“ eher, als dass man hört. Das mag nach Klangtapete klingen. Und zum Teil ist „Nocturnes, False Dawns & Breakdowns“ das auch. So könnte man sich gut vorstellen, das nunmehr zweite Solo-Album des in Friedrichshain lebenden und in Usbekistan geborenen US-Amerikaners zu hören, während man gerade mit den Ohren unter Wasser durch ein salzgeschwängertes Entspannungsbecken schwebt. Doch, auch wenn solch simple Kriterien in diesem zur Eintönigkeit neigenden Genre bisweilen zu verschwimmen drohen, es gibt gute und auch schlechte Soundtapeten. Im Gegensatz zu dem für solche Gelegenheiten üblichen New-Age-Sound, der einem süßlich die Wahrnehmung verklebt, lässt Pekler viel Transparenz zwischen seinen Tönen. So darf man, muss man nicht nur abschweifen, wenn man diese Musik hört, weil sie einen dazu verführt, scheinbar belanglosen Gedanken nachzugehen. Nein, man kann sich in diese Musik fallen lassen, ohne über ihre Belanglosigkeit zu erschrecken. Man kann ganz bewusst eintauchen, die sorgsam verschachtelten Rhythmen verfolgen, den akribisch programmierten Echos nachhängen, den Ursprung der in manischer Kleinarbeit gefertigten Samples erforschen. Aber ehe man sichs versieht sind die Gedanken schon wieder woanders, haben sich verirrt zusammen mit einer flüchtig vorbeigekommenen Idee. Diese Struktur entsteht dadurch, dass Pekler seine Tracks nicht wie andere Elektronik-Musiker am Computer konstruiert, sondern wie ein Jazzer improvisiert. Dass der 30-jährige Pekler, der bekannt wurde als Sänger der rabiaten Heidelberger Indierock-Kapelle Mucus 2 und sich auch als Sad Rockets noch vergleichsweise nah an der klassischen Songschreiberei bewegte, jetzt so ganz anders klingt, ist nach seinem zweieinhalb Jahre alten Debüt „Station To Station“ und seiner Arbeit im Electronica-Projekt Bergheim34 keine Überraschung mehr. Nur: Mit „Nocturnes, False Dawns & Breakdowns“ hat er den dort bereits verfolgten Ansatz nun perfektioniert. So ist diese Musik nicht mehr nur Soundtrack zu einem zu beschallenden Dasein, diese Musik beeinflusst selbst Dasein. Sie versetzt einen wie ein Hypnotiseur in einen Zustand, den man aus der Blauen Stunde eines zu Ende gehenden Tages kennt: nicht ganz im Hier, aber sehr entschieden in einem seltsam unbestimmten, vagen Jetzt. Dass dieser Zustand enden muss und dieses Ende dann sehr abrupt erfolgt nach 39 Minuten und 12 Sekunden, lässt einen ganz dankbar werden, dass die Hersteller von CD-Player bisweilen eine Repeat-Funktion haben einbauen lassen. THOMAS WINKLER