: Das wildeste Leben der Welt
Der Frankfurter Underground-Producer Stefan Adolf Veith und sein neuestes Werk
„Soll ich Ihnen ein Foto meines neuen Lovers schicken?“, fragt Stefan Adolf Veith, und dieser Ausspruch ist nur ein Indiz für seine verblüffende Bodenständigkeit. Dieser mittelalte Mann kann sich immer noch in die Probleme eines Normalerdlings hinein fühlen – zum Beispiel: Wie bebildert man einen Zeitungsartikel auf möglichst reißerische Weise? –, obwohl er doch schon mehr gesehen und erlebt hat, als sich in unser aller Träumen jemals wird abspielen können.
Zum ersten Mal vom Mantel der Zeitgeschichte gestreift sah sich Stefan Adolf, als er seinen neunten Geburtstag feierte – das war der Tag, an dem John F. Kennedy in die ewigen Jagdgründe geschickt wurde. Als 13-Jähriger ging er vollkommen auf in einer platonischen Beziehung mit einer verheirateten 35-jährigen Organistin. Bald darauf war er mittendrin und nicht nur dabei, als Ottmar Hitzfeld das Fundament für seine Trainerkarriere legte: Veiths Coach beim Fußballverein Lörrach von 1902 war unpässlich, weshalb der damals 19-jährige Promi in spe für einen Abend aushalf.
Ungefähr zu dieser Zeit war es auch, als Veith mitbekam, wie ein Klosterschulkamerad namens Knut Folkerts den Opferstock des Hauses plünderte – mutmaßlich das erste Verbrechen des späteren Rotarmisten. Später überschritt auch Veith so manche Grenze, schluckte beispielsweise im Opiumrausch Nähnadeln, die dann fast zwei Jahre in seinem Körper vagabundierten. Sogar in Leimen hat er mal gelebt, und als Boris Becker seine Hechtsprünge noch im Sandkasten vollführte, stritt Veith mit dessen Vater über ambulante Altenpflege.
Später hätte Veith beinahe Tofu erfunden, wenn ihm nicht vor circa ein- bis zweitausend Jahren irgendwelche Asiaten dazwischengefunkt hätten. Seine Steineschmeißer-Phase hatte er zur selben Zeit wie Ottfried Fischer (vielleicht auch wie der andere dicke Fischer, diese turbulente Biografie kann einen ganz schön durcheinander bringen), und 1984 hämmerte er vor einer Pizzeria in Bad Soden mit einem Stein so lange auf das Personenkraftfahrzeug des damaligen hessischen Justizministers Roland Koch ein, bis sich eine hübsche Delle bildete, die „die alte Sau“ (Veith) bis heute nicht vergessen haben dürfte. Zwischendurch war er in Buenos Aires in eine Vierecksbeziehung mit dem Chef von Ford Argentinien und dessen Ehefrau involviert.
In der jüngeren Vergangenheit war auch einiges los. Veith arbeitete in einer Plattenfirma, deren Boss seine Künstler nicht bezahlen konnte, weil er das Geld mit High-Class-Freudenmädchen aus Osteuropa verjuxte, er organisierte mit Kapuzinermönchen House- und Technopartys, um mit den Erlösen Obdachlose zu unterstützen, machte aber auch Bekanntschaft mit einem Mönch, der nur an sich selbst denkt und deshalb lieber Drogengelder wäscht. Nicht zuletzt verfügt Veith über gesicherte Erkenntnisse, dass einer der namhaftesten Immobilienunternehmer Hessens sich in der „Koks-Endphase“ befindet. Wenn er nicht so einen guten Guru hätte – es ist übrigens derselbe, dem auch der Cousin des Dortmunder Fußballstar-Darstellers Sebastian Kehl huldigt –, würde Veith das alles gar nicht auf die Reihe kriegen.
Auch Veith ist dank seiner reichhaltigen Lebenserfahrung längst zu einer Art Guru geworden, konsequent hat er sich – da konnte ihm nicht einmal seine Vorliebe für die Trendsportart Nordic Walking in die Quere kommen – die dafür nötige Leibesfülle erarbeitet. Ihm gehorchen mittlerweile, um nur wenige zu nennen, Christian Y. Schmidt, Oliver Maria Schmitt, Dr. Peter Hartz, die Johann Peter Hebel Experience, die Titanic-Redaktion und der Typ, der bei „SK Kölsch“ in Sat.1 den Heinrich Haupt spielt. Jedenfalls haben sie für die von Stefan Adolf Veith ausgeheckte CD „Andere Zeiten, andere Sitten!“ brav Comedy-HipHop, Mikro-Hörspiele, Zwanzigerjahre-Kabarettstückchen, Westcoastrock-Parodien, Jazz mit Nonsens-Texten und Konfirmandenunterrichtsmaterial abgeliefert. Die Bande firmiert unter dem Namen „Falsche Männer in falschen Etagen“ – weil „Verschiedene Interpreten“ doof klingt, und obwohl auch eine Marktfrau und andere Frauen mitmachen beim Anstinken gegen das Böse, Claus Strunz und Michael Moore. Das Label, auf dem das alles erscheint, hat Veith Carotin genannt, und das ist nur vernünftig, denn ohne Carotine sähe die Menschheit alt aus.
„Tu Gutes für immer / Denn deine Seele, die ist gut / Lalala-lalala / Lalalalala-lalala“, singt Stefan Veith unter dem Namen Veith Wessel, und nicht zuletzt dank des subtilen Pseudonyms werden wir nun nie wieder etwas Verlogenes glauben. Das Foto seines Lovers hat er dann aber doch nicht geschickt. RENÉ MARTENS
Falsche Männer in falschen Etagen: „Andere Zeiten, andere Sitten!“, Featuring: Stefan Veith, Peter Fey, Christian Y. Schmidt, Oliver M. Schmitt u. a., Carotin Records/Rough Trade, 16,99 €