: „Ich bin stolz, unterwegs zu sein“
INTERVIEW GESEKO VON LÜPKE
taz: Frau Maathai, Sie haben mit mehr als 30 Millionen gepflanzten Bäumen Ihre Heimat Kenia vor Erosion und Versteppung gerettet. Wie kam es zur Gründung des Umweltprojekts Grüner Gürtel, dem Green Belt Movement?
Wangari Maathai: Die Idee entstand, als ich in den Siebzigerjahren Präsidentin des kenianischen Frauenverbands war. Die Nöte der Frauen in den Armengebieten und auf dem Land drehten sich im Kern um zentrale Grundbedürfnisse. Und ich hatte das Gefühl, dass diese Grundbedürfnisse am ehesten befriedigt werden könnten, wenn wir dort Bäume pflanzen.
Ursprünglich ging es also nicht vorrangig um den Umweltschutz?
Das Grundanliegen war: Wenn es uns gelingen würde, den Armen ein Grundwissen über das Pflanzen von Bäumen zu vermitteln, könnten sie sich schon bald mit Obst, Feuerholz und Baumaterial versorgen. Einen Teil der Ernte könnten sie außerdem verkaufen und damit ihre Armut lindern. Und bei all dem würden sie ihre Umwelt aufwerten. Das waren die ursprünglichen Ideen dahinter – es ging ums Überleben.
Trotzdem wurde aus dem Green Belt Movement eine starke Umweltbewegung …
Das wuchs mit den Bäumen. Erst nach vielen Jahren haben wir begonnen, den Menschen die Zusammenhänge zwischen der ökologischen Zerstörung des Landes und ihrer sozialen Situation aufzuzeigen. Dann konnten sie auch erkennen, dass sie mitverantwortlich waren an eben den Problemen, die sie beklagten. Mittlerweile erkennen sie die Notwendigkeit, Wälder zu schützen, Naturflächen zu erhalten, die Qualität des Saatguts zu verteidigen und den Kleinbauern Rechte zu geben, damit sie von ihrer Arbeit auch leben können, ohne das Land auszubeuten.
Vollzieht sich diese Politisierung also von allein, wenn Menschen beginnen, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern?
Ja, denn wenn man einmal die Zusammenhänge begriffen hat, dann beginnt man automatisch, nicht mehr nur die Symptome zu behandeln, sondern nach den Wurzeln der Missstände zu fragen. Ernsthafter Umweltschutz führt immer in die Politik. Und dann wird einem klar, dass man die nationale Politik in Frage stellen, die eigene Regierung kritisieren muss.
Sie haben aber nicht davor Halt gemacht, nur die kenianische Regierung zu kritisieren.
Wenn man auf lokaler Ebene die Wurzeln der Fehlentwicklung anschaut, führt einen das zur Politik der eigenen Regierung und zu den Gesetzen, die Umweltzerstörung und Verantwortungslosigkeit legitimieren. Damit geht es los. Aber natürlich sind viele Probleme globaler Natur. Eine Wurzel des Übels ist die Globalisierung, die schrankenlose Öffnung der Märkte, die verborgenen Interaktionen zwischen unserer Regierung, der Weltbank, dem Weltwährungsfonds und anderen Regierungen. In dieser komplexen Interaktion wird es für nationale Regierungen immer schwieriger, die eigene Umwelt zu schützen, denn sie sind einem enormen Druck ausgesetzt – durch die Verschuldung.
Welche Rolle spielt die Schuldenfrage für die ökologische Zerstörung der afrikanischen Länder?
Eine zentrale Rolle. Wenn wir es nicht schaffen, diese niemals zurückzahlbaren Schuldenberge der armen Länder dieses Planeten aufzulösen, führt das überall dazu, dass die nationalen Regierungen diesen Druck an die kleinen Farmer weitergeben, die dann die Ressourcen gnadenlos ausbeuten. Das hat zur Folge, dass die Umwelt ausgehöhlt wird und mit ihr die Fähigkeit dieser Länder, eine eigene funktionierende Landwirtschaft für die Zukunft zu erhalten. Die Schulden provozieren ja direkt den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln, um die Produktionsmengen zu erhöhen.
Halten Sie die nationale und lokale Selbstbestimmung für das Fundament aller Lösungen?
Damit beginnt alles. Aber um sicherzustellen, dass weder die zuständigen Beamten noch die Minister oder Präsidenten die Wälder und Bodenschätze als ihren persönlichen Besitz ansehen, brauchen wir auch die internationale Ebene. Denn mit zunehmender Globalisierung wird die Forderung, sich für einen so genannten freien Markt zu öffnen, immer stärker. Ich bin fest davon überzeugt, dass es keinen freien Markt geben kann ohne den gleichzeitigen Schutz der Umwelt, der Böden, der Gewässer vor Ort.
Wie sollte dieser Schutz aussehen?
Geschäftsleute dürfen nicht nur das Recht auf freien Handel und Profite im Auge haben. Sie müssen zugleich ihre Verantwortung für die Umwelt und die kommenden Generationen ernst nehmen. Deshalb brauchen wir so etwas wie einen globalen ethischen Code.
Haben Sie so schlechte Erfahrungen mit ausländischen Unternehmen gemacht?
Es gibt eine Menge Unternehmen aus Amerika, Japan und Europa, die in ihren Heimatländern enorm vorsichtig mit der Umwelt umgehen, das Interesse der Bevölkerung an einer gesunden Zukunft respektieren und die nationalen Gesetze sorgfältigst einhalten. Wenn sie aber in die afrikanischen Länder kommen, wo wir meist unter korrupten Regierungen leiden, nutzen sie das gnadenlos aus: Sie beuten die Regierung, die Bevölkerung und die Ressourcen aus, die Umwelt wird zerstört, als wäre das vollkommen selbstverständlich. Es darf einfach nicht länger unterschiedliche Maßstäbe geben.
Ein wichtiger Teil der Green-Belt-Bewegung sind die Frauen. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Emanzipation und Ökologie?
Frauen waren immer der stärkste Arm der Green-Belt-Bewegung. Sie sind traditionell die Hersteller von Saatgut, sie sind die Pflanzerinnen, sie pflegen die Baumschulen. Aber wir Frauen sind uns der Tatsache sehr bewusst, dass sich auch unsere Männer emanzipieren müssen. Sie müssen ebenso eine Rolle beim Schutz der Umwelt spielen. Die Unterdrückung und mangelnde Gleichberechtigung afrikanischer Frauen liegt zum großen Teil an den politischen und sozialen Systemen, die noch aus der Kolonialzeit stammen. Dieses Erbe unterdrückt aber nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer. Und ich weiß aus Erfahrung: Männer brauchen Ermutigung genauso wie die Frauen.
Aber Ihre Heimat Kenia ist doch eine streng patriarchale Gesellschaft …
Ich setze trotzdem auf die Kooperation. Wo könnten wir heute stehen, wenn wir früher begonnen hätten, zusammenzuarbeiten! Was hätte alles getan werden können für unsere und die kommenden Generationen! Ich hoffe darauf, dass eines Tages unsere Männer die Kraft haben, aufzustehen, um nicht nur die Interessen der Frauen, sondern auch ihre eigenen zu schützen, statt sich zurückzulehnen und sich zu den korrumpierbarsten Menschen der Welt machen zu lassen, indem sie die Plünderung ihres Landes zulassen, sich auch noch daran beteiligen und vorgeben, Frauen und Kinder zu schützen. Jede Gesellschaft, in der Männer nicht in der Lage sind, ihre schwächsten Mitglieder zu schützen, braucht eine Menge Ermutigung und Emanzipation.
Das klingt nach einem noch sehr langen Weg.
Ich weiß sehr gut, dass wir noch ganz am Anfang stehen. Aber ich bin stolz darauf, unterwegs zu sein, auch wenn ich persönlich vielleicht nie ankomme. Wer den Weg kennt, wird nicht müde.
Dass Umweltschutz und sozialer Frieden zusammengehören, haben Sie mit dem Green Belt Movement bewiesen. Sehen Sie diesen Zusammenhang auch global?
Natürlich. Und das nicht erst, seit ich den Friedensnobelpreis zugesprochen bekommen habe. Die Menschen befinden sich in einem Krieg gegen die Natur, und die Zahl der Opfer ist riesig. Schon heute sind mehr als die Hälfte der Flüchtlinge Umweltflüchtlinge. Und es wurden und werden zahllose Kriege um Bodenschätze und Ressourcen geführt. Das Problem ist hochaktuell, weil Ressourcen immer knapper werden. Wenn wir es schaffen, nachhaltiger mit ihnen umzugehen, können gegenwärtige und künftige Konflikte entschärft werden. Der Schutz der globalen Umwelt steht in direkter Beziehung zur Friedenssicherung.
Was kann der Westen von Afrika lernen?
Die Kultur unserer Vorväter war eine kommunitäre Kultur, sie kümmerte sich um den Nächsten, war nicht so besitzergreifend, besonders nicht gegenüber Gütern wie Wasser, Luft und Wald. Ich will damit nicht sagen, dass alle Werte der traditionellen afrikanischen Kultur perfekt waren. Kultur ist nicht etwas Statisches, sie muss sich verändern, und das geschieht immer durch die Interaktion mit anderen Kulturen. Jede Kultur hat etwas Spezifisches, das ihr aus der Vergangenheit überliefert und mitgegeben ist. Auf diese Vielfalt müssen wir bauen.
Statt globalisierter Einfalt betonen Sie also die Unterschiede?
So hat Gott uns doch erschaffen: mit all unseren Unterschieden. Überall in der Natur finden wir enorme Vielfalt. Deshalb sagen wir Nein zu Monokulturen bei Pflanzen, bei Tieren und unter Menschen. Wir können nicht eine globalisierte Menschheit mit einer Kultur werden. Wir müssen lokales Selbstvertrauen entwickeln, müssen wissen, wer wir sind, und was wir uns wert sind. Dann können wir auch der Natur und kommenden Generationen einen eigenen Wert zubilligen. Tun wir das nicht, dann reduzieren wir uns zu konsumierenden Einzelkämpfern, die ihren Lebenssinn im Kaufen finden und nur für den Moment leben.