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Archiv-Artikel

Rückkehr nach 23 Jahren

Nach Ende der Kampfhandlungen besuchte der Hamburger Arzt Ghalib Al-Ani erstmals wieder seine Geburtsstadt Bagdad

„Ich habe den Optimismus und die Freude über den Sturz der Diktatur gespürt“

von HAUKE FRIEDERICHS und CHRISTIAN UNGER

Eine kurze Autofahrt durch Bagdad. Für den Hamburger Arzt Ghalib Al-Ani eine Reise in die Vergangenheit. Vor 23 Jahren war er vor den Geheimdiensten des Saddam-Regimes nach Deutschland geflohen. Al-Ani hatte die Unterdrückung im Irak nicht mehr ausgehalten, sich nach Freiheit gesehnt. Bei seiner Rückkehr nach Bagdad musste er nun keine Verhaftung und Folter fürchten. Al-Ani genoss den Blick auf Euphrat und Tigris, sog den lang vermissten Geruch seiner Geburtsstadt ein und war glücklich, nach Hause zu kommen. Keiner seiner Verwandten hatte gewusst, dass er wieder im Land war. Al-Ani freute sich, endlich seine Brüder wiederzusehen. Ihre Kinder kannte er nur von Fotos, hatte all die Jahre kaum Kontakt, um seine Familie nicht zu gefährden.

Jetzt, als 60-Jähriger, kehrte er zurück – um zu helfen. Aus Deutschland brachte er Medikamente mit und Teddybären für die Jungen und Mädchen in den Krankenhäusern. „Das Elend dort war unvorstellbar. Vier Kinder lagen in einem Krankenbett, für ihre Eltern war kein Platz vorhanden“, sagt Al-Ani, der bis zum Ruhestand als Anästhesist im Krankenhaus Rissen arbeitete. Um nach Bagdad zu kommen, gingen er und seine zwei Begleiter ein hohes Risiko ein. Obwohl bewaffnete Plünderer noch immer das Land unsicher machten, fuhren sie mit dem Auto von der jordanischen Grenze aus durch den Irak. Sofort als der Krieg beendet war, begannen sie Hilfsgüter der Aktion „Ein Herz für Kinder“ zu verteilen.

In Bagdad traf sich Al-Ani mit Vertretern von Parteien und Organisationen. „Ich habe den Optimismus und die Freude der Menschen über den Sturz der Diktatur gespürt“, sagt er. „Das gibt mir Hoffnung für eine bessere Zukunft.“ Wenn er vom Leid der Menschen im Irak berichtet, ballt er wütend die Fäuste. Spricht er über Saddam Hussein, kneift er die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen. Bei seinem Lieblingsthema, den Menschenrechten, blüht Al-Ani auf. Dann schöpft er Kraft und seine Augen beginnen zu funkeln: „Wir müssen weltweit Armut, Krankheit und Analphabetismus bekämpfen, wenn wir ernsthaft den Terrorismus besiegen wollen.“

„Ich war Demokrat und wurde deswegen verfolgt. Andersdenkende durften ihre Meinung unter Saddam nicht äußern“, sagt Al-Ani. „Ein befreundeter Arzt wurde vom Regime vergiftet“, erzählt er. Um die Folterungen und Ermordungen zu dokumentieren, hat er mit anderen Exil-Irakern in Hamburg die Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte im Irak (OMRIK) gegründet. Der Verein wertet unter anderem Nachrichten aus dem Irak aus und veröffentlicht diese. Die 78 Mitglieder kümmern sich außerdem um Iraker in Norddeutschland. Neulingen erklären sie beispielsweise die Gesetze und helfen bei der Integration.

Jetzt möchte Al-Ani vor allem seinen Landsleuten im Irak helfen. Er hat das Gefühl, gebraucht zu werden. Er ist bereit, Hamburg, seine Heimat, wie er sagt, für Monate zu verlassen. Seine Familie und Freunde zurückzulassen, um beim Aufbau eines demokratischen Irak mitzuwirken. Er ist wütend auf den Hussein-Clan, der jahrzehntelang schweres Leid über das irakische Volk gebracht hat. Wütend ist er auch auf die alliierten Besatzer, die nicht für Sicherheit und Ruhe sorgen können. Und wütend ist er schließlich auch auf die Weltgemeinschaft, die den Irak im Stich gelassen habe.

Al-Ani war stets überzeugt, dass Hussein am Leben ist. Nun wird durch dessen Festnahme die Sicherheitslage besser werden, hofft er. Er fordert eine harte Bestrafung des Diktators. „Ich habe mich jahrelang gegen die Todesstrafe eingesetzt“, sagt der Arzt, dennoch findet er in diesem Fall, dass eine Hinrichtung eine zu geringe Strafe sei. „1.000 Tode müsste Hussein sterben“, ruft Al-Ani aus und ballt die Faust. Nachdem er sich etwas beruhigt hat, lehnt er sich in seinem Sessel zurück. Er trinkt einen Schluck Kaffee und denkt kurz nach. „Wenn wir einen demokratischen Irak aufbauen wollen, müssen wir mit der Verurteilung Saddams und seiner Clique beginnen“, sagt er nachdenklich. „Diese Verbrecher müssen vor ein irakisches Gericht kommen. Dann würden Tausende, die von Saddam betrogen wurden, die Wahrheit erkennen.“

Mit seiner nächsten Reise nach Bagdad, die eine Rückkehr für Monate werden soll, will er warten, bis der Irak ein sicheres Land geworden ist. Sobald der erste Linienflug von Deutschland aus geht, will er aufbrechen. Bis dahin bleiben ihm vorerst nur die Erinnerungen an die strahlenden Gesichter seiner Nichten und Neffen an dem Tag, als er nach 23 Jahren aus dem Taxi stieg. Und zum ersten Mal wieder vor dem Haus seiner Brüder stand.