: In der Wunderwinterweihnachtswahnwelt
Neues von der Weihnachts-Wut: Wanderung durch eine grauenhaft festlich aufgezäumte Fußgängerzone
Kann mir mal jemand sagen, ob „Student aus Weißrussland“ zu sein eigentlich alles entschuldigt? Auch vor Weihnachten dumm in der Fußgängerzone herumstehen und auf einem Holzinstrument herumklöppeln, das eigentlich nur noch als Kaminfutter taugt? Dazu einen Gettoblaster mit weißrussischer Volksmusik füllen und sie über harmlose Passanten auskippen, inklusive hysterischen Sologeklöppels? Und wenn man den Verursacher niederschlagen will, fällt man über ein wahlplakatgroßes Schild, auf dem „Student aus Weißrussland“ steht. Was soll das? Warum schreibt der Klöppelstudent nicht lieber „Nicht hauen!“ darauf?
Ich bin keine harmlose Passantin, ich bin Weihnachtskundin im Endstadium. Ich tobe durch den Weihnachtsmarkt in unserer pittoresken Altstadt und schütte lautlos meinen Zorn aus. An der nächsten Ecke warten zwei weißrussische Bläser. Sie hocken hinter einer Säule, damit man sie nicht sieht und überfallen einen von hinten. Mit Tönen!
Dann der Stand „Lassen sie sich malen!“. „Von unbegabten Studenten aus der Mongolei“ steht da nicht. Im Vorbeigehen verachte ich den blauen Tchibo-Nikolaus, der so falsch aussieht, dass er die Kinder verwirrt. Der vom Autohaus hat zwar einen roten Mantel an, kommt aber in Straßenschuhen und kann deswegen auch nicht punkten. Überall treten einem Weihnachtsmarkt-Touristen auf die Füße. Man erkennt sie an den roten Mützen mit den Leuchtbirnchen und an ihren Nagelstiefeln. Und daran, dass sie „Kuck mal, Heinz, ist das nicht lustig? Heinz? Ist das nicht lustig? Heinz, kuck mal!“ sagen.
In der einen Hand schwenke ich meine Rute, in der anderen Hand meinen Einkaufszettel. „Kleiderbügel mit Brandmalerei“ stehen nicht darauf. Die kleinen, süßen Ponys des estnischen Wanderzirkus, die sich erschöpft an Karstadts Schaufenster lehnen, werden von mir weder gefüttert noch beschenkt. Da kann ich so was von hart sein. Alle Nikolausrabatte nehme ich dagegen froh und munter mit. Ebenso die Kundengeschenke, obwohl sich hier ein deutliches Zucken in der Rute bemerkbar macht: Beim Friseur erhalte ich als Zugabe zu meinen sündhaft teuren, lamettaroten Weihnachtssträhnen eine Flasche Shampoo, die sich in einer Puppenstube gewiss sehr gut ausnehmen würde. Aber mein fünfjähriger Sohn mit seinem Fünf-Minuten-Haarschnitt bekommt von der Friseurin ein Radio geschenkt. Ein Radio! Das hätten wir früher nicht mal auf den offiziellen Hauptwunschzettel gesetzt, aus Angst, es gäbe wegen Unverschämtheit gar nichts.
Um mich herum jammert der Einzelhandel über das schlechte Weihnachtsgeschäft, aber was wird dort auch schon groß angeboten. Handys, die fotografieren können, das braucht doch niemand. Menschen, die fotografieren können, das wäre was.
Überall gibt es singende Bratpfannen, tanzende Waschmaschinen, explodierende Parfümflaschen. Schlipse aus grünem Schleim, Socken mit Brandmalerei, handgesägte Tischdecken. Eine Garage aus goldlackierten Miniblumentöpfen und Stühle aus Zimtstangen.
Ich finde mich bei der Ärztin wieder, doch da sind alle anderen auch, weil Kranksein zwar schön ist, aber ab nächsten Monat Eintritt kostet. Ich falle mit all meinen Tüten über die Tüten aller anderen ins Behandlungszimmer, in dem eins der Gestecke des Grauens auf dem Tisch herumlungert, von denen ich immer dachte, die kauft doch niemand. So eins mit Orangenscheibchen und Wichtelmännchen. „Ihr Blutdruck ist 155 zu 65. Haben Sie Stress?“ – „Nö, wieso?“, kontere ich supercool. 155 zu 65, was ist das schon, warum nicht gleich 5.000 zu 1? Weil es dann wegen Unverschämtheit gar nichts gibt. SUSANNE FISCHER