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Archiv-Artikel

Saure Reden vergiften Umwelt

Wissenschaftler warnen: Hirnsterben durch Polit-Talksendungen im Fernsehen

Nicht zufällig erinnert das Christiansen-Studio an einen großen blauen Heißluftballon

Sonntag, 21.45 Uhr, Berlin. Die Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Emissionsforschung starren gebannt auf die Instrumente ihrer fahrbaren Messstation, die sie am Breitscheidplatz in der Nähe des Studios aufgebaut haben, in dem gleich der Polittalk „Sabine Christiansen“ beginnt. Um 21.56 Uhr schnellen die zitternden Zeiger der hochsensiblen Messinstrumente dann zum ersten Mal in den roten Bereich. „Da hat sich wohl Horst Seehofer einen hitzigen Wortwechsel mit Friedrich Merz geliefert“, analysiert Emissiologe Dirk Freudenreich die extremen Messwerte. „Aber warten Sie ab, bis der Glos in die Debatte eingreift, da blinken bei uns alle Notfallleuchten.“ Mit bloßem Auge ist die in dunklen Schwaden aufsteigende heiße Luft über Berlin zu erkennen. Es ist wohl kein Zufall, dass das Christiansen-Studio an einen gigantischen blauen Heißluftballon erinnert …

Der erfahrene Wissenschaftler Freudenreich weiß, wovon er redet. Als Spezialist für Emissionsforschung kennt er die Spitzenzeiten für den gefürchteten Plauderdampfausstoß genau. „Als ich bei meinem ersten Einsatz – ich glaube, es war noch zu Zeiten von ‚Vorsicht: Friedman‘ – die schwarzen Rauchschwaden über dem Studio sah, war ich entsetzt. Aber mittlerweile habe ich mich sogar an den öligen Rußfilm gewöhnt, der sich während besonders kontrovers geführten Diskussionen über Berlin legt.“

Notwendig geworden war die aufwendige Untersuchungsreihe durch den Zwang zur Einhaltung des Klimaschutzziels, zu dem sich die Europäische Union bis zum Jahr 2012 verpflichtet hat. Deutschland muss bis dahin seine äußerst klimaschädlichen Heißluftemissionen um 21 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Geschafft sind derzeit aber erst 18 Prozent. Von 2005 an soll der EU-weite Emissionshandel dazu beitragen, die Reduzierung des Heißluftausstoßes möglichst kostengünstig zu gestalten. Jeder der in Deutschlands Talkshows auftretenden Politiker oder Verbandsfunktionäre darf dann nur noch so viele Labergase ablassen, wie zuvor in einem Berechtigungsschein zugeteilt wurden. Stößt eine Partei weniger Emissionen aus, kann sie die überschüssigen Abgasrechte verkaufen und damit Geld machen. Parteien und Verbände, die mehr als die ihnen zugestandenen Heißluftmengen in die Atmosphäre blasen, müssen dagegen Rechte hinzukaufen. Diese Regelung könnte zu einer Revolutionierung der deutschen Parteienlandschaft führen, da sie es für die Parteien attraktiv macht, alte Dampfplauderer mit geringer Effizienz und hohem Heißluftausstoß durch moderne, klimafreundlichere Politikgeneratoren zu ersetzen.

Doch bis die ehrgeizigen Klimaziele erreicht sind, werden noch viele saure Reden über Deutschland niedergehen. Eins allerdings ist gefährlich daran: Der unkontrollierte Niederschlag von Phrasentonnagen kann im Extremfall im politischen Humus unserer Nation zur gefürchteten Blut-und-Boden-Kopplung führen. Schwere Hirnschäden sind dann keine Seltenheit. Schon allein um diesen von allen gefürchteten Super-Gau in der Gesellschaft zu verhindern, gilt es die Klimaziele rasch und entschlossen umzusetzen.

Leider ist die sonntägliche Umweltverschmutzung kein Einzelfall. Von Dienstag bis Freitag sorgt Johannes B. Kerner für dramatisch erhöhte Heißluftwerte, Fliege, Maischberger und Beckmann tun das Ihrige, die Atmosphäre über Deutschland zu vergiften. Und die Problemzone ist beileibe nicht nur auf Berlin beschränkt: Wenn Sigmund Gottlieb am Dienstagabend um 20.15 Uhr zur „Münchner Runde“ bittet, verdüstert sich auch der weißblaue Himmel über der bayerischen Landeshauptstadt.

Zum allwöchentlichen Klimakollaps aber kommt es freitags um 22 Uhr. Zu dieser nächtlichen Stunde gehen gleich drei verheerende Talkshows auf Sendung: die „NDR Talkshow“ mit Julia Westlake und Jörg Pilawa, „B. trifft …“ im WDR mit Bettina Böttinger, und im SWR empfängt Wieland Backes seine illustren Gäste im „Nachtcafé“ zum Schadstoffausstoß. Mit dieser konzertierten Emission wird Deutschland fast flächendeckend vollgelabert – eine klimatologische Extrembelastung, die durch den praktisch talkfreien Samstag kaum auszugleichen ist. Denn am Sonntagabend stößt ja schon wieder Sabine Christiansen ihre hochkonzentrierten Schwatzstoffe aus. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt. RÜDIGER KIND