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Archiv-Artikel

„Diesen Landtag erträgt man nur mit viel Humor oder im Suff“

Wie tickt Baden-Württemberg? Dieter Salomon verrät es: Der grüne OB von Freiburg über Schavan, die CDU, Leute vom Land und Städter im Größenwahn

INTERVIEW PETER UNFRIED

taz: Herr Salomon, Günther H. Oettinger wird Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Hat die CDU-interne „Lesben-Verdacht“-Kampagne gegen Annette Schavan den Ausschlag gegeben?

Dieter Salomon: Geschadet schon. Aber nicht den Ausschlag gegeben. Frau Schavan hat ein ganz anderes Problem.

Enthüllen Sie es.

Die Frau ist eigentlich zu intelligent für Politik.

Zu intelligent?

Lachen Sie nicht. Schavan ist eine absolute Bildungsbürgerin, sie hat Philosophie studiert und Theologie und …

… das ist ihr Problem?

Ja. Die Menschen wollen keine Politiker, die ihnen das Gefühl geben, sie seien zehnmal so klug wie sie selber. Das ärgert die Leute. Wie konnte einer wie Kohl sich denn 16 Jahre halten?

Wie halten Sie sich?

Ich habe eine andere Klientel als Kohl. Kohl hat die Wahlen gewonnen, weil die Leute das Gefühl gehabt haben, na ja, der ist auch nicht schlauer als ich.

Worauf wollen Sie hinaus?

Als intelligenter Mensch ertragen Sie zehn Jahre im Stuttgarter Landtag nur mit viel Humor oder im Suff. Ich bin OB von Freiburg geworden. Frau Schavan ist aufgeklärt katholisch, Bildungsbürgerin durch und durch, hochintelligent, mit Abstand die beste Rednerin im ganzen Landtag.

Wohin gegen Oettinger …

… natürlich lupenreines Schwäbisch spricht. Nein, es geht darum: Die Landtagsfraktion der CDU – und nicht nur die der CDU – besteht zum geringsten Teil aus intellektuellen Überfliegern. Jemand wie Annette Schavan nervt die. Die wissen, dass sie schlau ist, aber sie verstehen sie nicht. Die mögen keine Eggheads. Das regt die auf.

Deshalb Oettinger?

Sie müssen schon sehen: Die CDU als Volkspartei ist auf Landesebene sehr breit angelegt. Ich würde nicht sagen, dass Oettinger die breite und unkritische Masse repräsentiert, aber zumindest versteht er sie. Politik ist immer ein Ausschnitt aus dem, was es so an Volk gibt. Insbesondere in einem Land, in dem so eine Partei sich als Staatspartei versteht und wie die CDU seit 50 Jahren regiert.

In Bild wurde insinuiert, ein Ministerpräsident habe hier im Gegensatz zu Amtskollegen in Berlin und Hamburg hetero zu sein.

Das Problem war nie die unterstellte Homosexualität.

Tendieren Sie zur FAZ -These, wonach der „Schwarzwaldbauer“ zivilisatorisch noch nicht bereit sei für eine Frau? Hinter Ihrem Büro beginnt ja gleich der Schwarzwald.

Also, die Schwarzwälder sind wortkarg und stur und natürlich konservativ. Das ist keine Frage. Das unterscheidet den Schwarzwaldbauern aber wahrscheinlich nicht von dem ostfriesischen Bauern. Ich glaube aber tatsächlich auch, dass die ländliche Bevölkerung sich unter einem Ministerpräsidenten ganz traditionell einen Mann vorstellt, eine Königsersatzfigur, den Landesvater.

Keine Chance für eine Landesmutter?

Wenn es schon eine Mutter sein soll, dann muss sie drei Kinder haben, muss mindestens verheiratet und darf bestenfalls verwitwet sein.

Haben Sie die Familie im Wahlkampf gezeigt?

Meine Frau schon. Aber nicht als meinen siamesischen Zwilling. Wenn man OB werden will, muss man die Familienverhältnisse offen legen.

Gilt das auch für eine Ministerpräsidentin?

In Baden-Württemberg schon.

Eine Verabredung zwischen Medien, Bürgern und Politiker, dessen Privatleben komplett auszublenden …

… die gibt es nicht, nein. Die Leute haben einen Mindestanspruch zu wissen, was da los ist. Der begründet sich mit Neugier. So lange die Mindestinformation nicht da ist, ist der Spekulation Tür und Tor geöffnet. Das war das Problem von Schavan.

Ist alles gut, wenn eine sagt, dass sie nur betet?

Das kann sich der Baden-Württemberger auch nicht gut vorstellen. Selbst auf dem Land nicht.

Es bleibt die Erkenntnis, dass Baden-Württembergs CDU nicht so liberal ist, wie sie behauptet.

Ach, in Bayern würde das auch nicht funktionieren. Ich habe Annette Schavan schon vor Monaten im Spaß vorgeschlagen, sie solle doch ihre Mitgliederbefragung lieber bei den Grünen machen, da hätte sie Chancen.

Wirklich?

Bei der Landtagswahl hätte der Grüne die Schavan natürlich auch nicht gewählt. Ein grünes Elternbeiratsmitglied hält überhaupt nichts von Frau Schavan. Aber sie ist trotzdem viel näher am Lebensgefühl der Grünen-Klientel als Erwin Teufel.

Der amtierende Ministerpräsident ist selbst in Baden-Württemberg ein Anachronismus?

Also, wenn Sie so wollen, dann kommt Erwin Teufel dem viel zitierten Schwarzwaldbauern nahe.

Und Oettinger?

Ich halte ihn für einen aufgeklärten konservativen, machtbewussten Technokraten. Hochintelligent, aber nicht intellektuell. Er hat etwas Verbindendes. Oettinger ist Großstädter, kann aber gut mit den Leuten vom Land. Der macht das seit 30 Jahren, der kennt jeden Ortsverein, der hat ein Netzwerk, das ist nicht zu überbieten.

Kann er auch eine Brücke schlagen zur großstädtischen grünen Mittelschicht?

Sie spielen auf Schwarz-Grün an? Ach, das war doch immer eine Gespensterdebatte in Baden-Württemberg. Es gibt für diese Staatspartei CDU überhaupt keinen Anlass, darüber nachzudenken. Außer um ab und zu mal die FDP zu ärgern. Sie können die Wahlergebnisse der letzten 20 Jahre rauf- und runterrechnen, da kommen Sie immer auf zusammen 60 Prozent, die CDU oder FDP wählen. Oder wenn das nicht reicht: „Republikaner“.

Schwarz-Grün ist für Sie aber eine strategische Option?

Grundsätzlich ja. Demokratie heißt, dass man erstens versuchen sollte, zu regieren, weil da man nur dann Gelegenheit hat, die eigene Politik umzusetzen. Zweitens, dass man sich dafür den Möglichkeiten anpassen muss. Die SPD koaliert in Deutschland mit allen. Und die Grünen sind die braven Trottel, die immer nur die SPD-Option haben. Das kann auf Dauer ein strategisches Problem werden.

Kann man die inhaltliche und gefühlte Differenz zwischen Grün und Schwarz überwinden?

Das muss man sehen. Bisher hatte allein der Gedanke etwas Exotisch-Perverses. Ich sage ja nicht: Weg von der SPD, hin zur CDU. Ich sage, man muss sich die strategische Option CDU eröffnen.

Sie regieren zwischen Grünen und der CDU.

Die Mehrheiten im Freiburger Gemeinderat sind mal so und mal so. Die Grünen wie die CDU haben je 13 Sitze. Zusammen ergibt das bei 48 Sitzen eine Mehrheit.

Diese CDU/Grünen-Mehrheit gibt es?

Ja. Ab und an. Aber die CDU ist in Freiburg auch viel liberaler und aufgeklärter als die Landes-CDU.

Wer ist in der Opposition?

Das kann man nie genau voraussagen. Manchmal versuchen SPD und CDU, dem OB oder den Grünen eins reinzudrücken. Nur die Linken im Gemeinderat verweigern sich der Machtlogik völlig.

Für Fundis waren Sie schon vor vielen Jahren ein Verräter. Nun symbolisieren Sie als erster grüner OB einer deutschen Großstadt die angekommene, undogmatische grüne Mittelschicht?

Für Freiburg gilt das sicher. Hier ist Normalität, was anderswo als Sensation empfunden wurde. Oder aus linker Sicht als Dauerverrat. Im zweiten Wahlgang mussten sich ja auch 14 Prozent Linke entscheiden: Nehmen wir eine CDU-Frau oder den Grünen mit Anzug und Krawatte? Fast alle haben dann doch lieber mich genommen. Oder gar nicht mehr gewählt.

Nun sind Sie nicht nur der OB des Uni-Milieus, sondern auch der Landbevölkerung.

In Freiburg geht das. Freiburg tickt anders grün als zum Beispiel Berlin. In Freiburg hätte einer wie Christian Ströbele keine Chance.

Ströbele gewann bei der Bundestagwahl den Wahlkreis Kreuzberg-Friedrichshain …

Ein Kreuzberger Held wäre in Freiburg nie OB geworden.

Zu links, zu anachronistisch?

Beides. Und zu sehr Szene. Wir haben hier ein anderes Milieu.

Was denn für eines?

Es definiert sich zunächst über die höhere Bildung. Daraus folgt das höhere Einkommen. Dazu gehört soziologisch ein Anwalt wie Ströbele auch. Aber er ist natürlich im Kopf ganz woanders. Da ist es in der Lebensgeschichte nicht angelegt, dass man mal zu den Privilegierten gehört. Hier lebt man entspannter damit.

Das klingt nach postideologischem grünem Pragmatismus à la Göring-Eckardt?

Nein, ich mag die Katrin, sehr sogar. Aber sie verströmt ganz und gar nicht das Südbaden-Feeling.

Was ist das für ein Feeling?

Sagen wir es so: Sie fühlen sich als links, verdienen überdurchschnittlich, sind eigentlich sehr bürgerlich, merken es aber nicht. In Freiburg würde keiner mehr sagen: Den kannst du nicht wählen, der ist Grüner. Ich bin OB, weil das weitgehend dem Lebensgefühl der Menschen entspricht.

Entspricht Freiburg Ihnen?

Freiburg ist eine Stadt, in der ich mich sehr wohl fühle. Allerdings ist Freiburg auch Provinz. Die Stadt hat natürlich auch Probleme. Aber das auf hohem Niveau. Man diskutiert nicht über Drogen, Obdachlose, Kriminalität, obwohl man von allem reichlich hat. Man diskutiert über Nebensächlichkeiten. Und jeder, der Abitur hat – und das hat fast jeder –, hält sich für einen Intellektuellen. Und selbst der größte Quatsch, der hier erzählt wird, hat immer noch den Anspruch, dem Weltgeist abgelauscht zu sein. Insofern ist Freiburg zwar unheimlich sympathisch, aber auch eine Stadt des provinziellen Größenwahns.

Sie passen prächtig dazu?

Ja klar. Ich bin ein Kind dieser Stadt.