: „Das Kreuz ist heute oft nur ein modisches Accessoire“, sagt Gerhard Besier
Die christlichen Kirchen nutzen den Kopftuchstreit, um ihre eigene gesellschaftliche Position zu festigen
taz: Herr Besier, heute ist Weihnachten. Und wir sind umgeben von christlicher Symbolik, von Weihnachtskerzen, Weihnachtsliedern …
Gerhard Besier: Ja, aber das täuscht. Die meisten kennen nur noch die populärsten Weihnachtslieder. Oder hören Sie irgendwo ein Lied wie „Es ist ein Ros’ entsprungen“?
Und was heißt das?
Weihnachten hat zwar noch eine emotionale Anmutung, aber die christlichen Symbole sind entleert. Die Leute verbinden Weihnachten nicht mehr wirklich mit der Geburt Jesu Christi.
Das vermuten Sie?
Nein, nicht nur. Es gibt einschlägige Untersuchungen, die zeigen, dass die Deutschen ein sehr distanziertes Verhältnis zu den christlichen Kirchen haben und erhebliche Zweifel an den Grunddogmen des christlichen Glaubens hegen. Nur noch knapp 5 Prozent der Protestanten gehen sonntags in den Gottesdienst. Der Kirchgang gehört nur Weihnachten zum Feierritual. Aber das ist kein Bekenntnis zum Glauben. Da geht es eher um wärmende Erinnerungen an die Kindheit.
Wie sieht das in anderen Religionen aus, beispielsweise im Islam?
Anders. Der Islam ist in den Bevölkerungen – nicht bei den säkularisierten Intellektuellen – viel tiefer verwurzelt. Muslime orientieren sich mehr an ihrer Religion als Christen in Europa.
Sind die christlichen Kirchen neidisch darauf?
Die hiesigen Kirchen sind enttäuscht, dass sich ihre Gotteshäuser leeren. Das mag, mit Blick auf volle Moscheen, auch die Spannung zum Islam vergrößern. Allerdings gibt es bei den Kirchen auch die Erwartung, dass gerade die Präsenz des Islam hierzulande dazu führt, dass sich mehr Menschen wieder der eigenen christlichen Tradition zuwenden.
Wird dieses Kalkül aufgehen?
Ich glaube nicht daran.
Welche Rolle spielt der Kopftuchstreit für die Kirche?
Er kann eine Bedrohung werden. Denn die Kirchen haben ein eminentes Interesse daran, ihre Symbolik weiterhin in der Öffentlichkeit aufscheinen zu lassen. Aber eigentlich kann es nicht sein, dass man islamische Symbole unterdrückt, zum Beispiel das Kopftuch an der Lehrerin verbietet, christliche Symbole hingegen weiter zulässt. Und genau das wollen viele. Es tobt ein Kulturkampf in unserer Gesellschaft.
Viele argumentieren, dass ein Kreuz um den Hals weniger demonstrativ wirkt als das Kopftuch …
Das ist eine äußerst verengte Sicht der Dinge. Richtig ist ja, dass das Kreuz am Hals, und sei es noch so groß, häufig gar kein Bekenntnisakt mehr ist, sondern ein modisches Accessoire.
Warum sollte man es dann für Lehrer verbieten?
Wenn wir definieren würden, dass das Kreuz kein eindeutiges Symbol mehr ist – dann würden die Kirchen auf die Barrikaden gehen. Denn sie wollen natürlich an der Konfessionsspezifik des Kreuzes festhalten. Das Bigotte an der Kopftuchdebatte ist, dass man natürlich nicht über das Kreuz oder die Kippa streitet. Die Diskussion fokussiert sich auf das Kopftuch.
Und das heißt?
Dass es eigentlich darum geht, die Problematik von religiösen Minderheiten in den Griff zu bekommen. Dieser Streit eskaliert jetzt, weil in islamistischen Kreisen das Kopftuch als eine Möglichkeit wahrgenommen wird, den Islam offensiver in der christlichen Gesellschaft zu vertreten.
Was halten Sie davon, wie in Frankreich die religiöse Symbolik grundsätzlich aus der Schule zu verbannen?
Das ist ein Weg. Man kann natürlich auch total liberal sein und alles gelten lassen.
Soll Deutschland den französischen Weg beschreiten?
Das wäre politisch kaum durchsetzbar – obwohl es zeitgemäß wäre, angesichts der Tatsache, dass sich die Gesellschaft auch religiös weiter pluralisiert. In Deutschland ist das schwer durchsetzbar, weil die Trennung von Kirche und Staat nicht wirklich vollzogen ist. Dabei müssen wir Kirche und Staat mehr trennen – schon im Hinblick auf die EU. Wir müssen zu einer gemeinsamen europäischen Lösung kommen. Wir können doch nicht sagen: Alles wird globalisiert – nur die religiöse Kultur nicht.
Was wäre der richtige Ansatz?
In Bezug auf die Schule fände ich einen religionskundlichen Unterricht, also einen nichtkonfessionellen Unterricht, richtig. Dieser müsste von Lehrern erteilt werden, die ein religionswissenschaftliches Studium absolviert haben – welchem Glauben sie persönlich anhängen, sollte dabei keine Rolle spielen. Entscheidend ist, dass sie die Fremdreligionen tatsächlich studiert haben und vermitteln können.
An der Idee werden die christlichen Kirchen wenig Freude haben?
Klar. Das Elternhaus fällt heute bei der Vermittlung von Religion hierzulande meist aus – so bleibt nur der konfessionell gebundene Religionsuntericht, um Kinder von klein auf in einer bestimmten Religion zu sozialisieren. Außerdem würde ein nicht konfessioneller Religionsunterricht den Einfluss der Kirchen in der Gesellschaft stark beschneiden. Bis heute werden ja an staatlichen Universitäten vor allem konfessionelle Religionslehrer ausgebildet. Ein nicht konfessioneller Religionsunterricht wäre aber die zeitgemäße Antwort auf ein multireligiöses Europa.
INTERVIEW: EDITH KRESTA