: Die vierbeinige Fliegenklatsche des Jesuskindleins
Die Idylle zwischen Mensch und Tier im Stall zu Bethlehem ist reine Legende: Keiner der Evangelisten weiß davon zu berichten. Dennoch sind Ochs und Esel spätestens seit dem 3. Jahrhundert in der Volksfrömmigkeit fester Bestandteil des Glaubens. Sie illustrieren die Armut der Heiligen Familie
Entsorgen Sie die süßen Ochs-und-Esel-Figürchen aus Ihrem Ministall unter dem Weihnachtsbaum! Die Idylle zwischen Tier und Mensch im Stall von Bethlehem ist reine Legende (anders etwa als die Kreuzigung Jesu unter Pontius Pilatus). Von den vier Evangelisten berichtet nur Lukas von einer Krippe. Von Ochs und Esel weiß niemand etwas. Nur eine apokryphe, also nicht in den biblischen Kanon übernommene Schrift, der Pseudomatthäus, erwähnt die Tiere.
Dennoch sind Ochs und Esel spätestens seit dem 3. Jahrhundert in der Volksfrömmigkeit fester Bestandteil des Glaubens – und Kirchenvater Augustinus von Hippo nahm dieses tierisch-menschliche Paradies in der Winternacht auf: So mahnte etwa Augustinus etwa 410 n. C. in einer Weihnachtspredigt, auf den Esel anspielend: „Achte auf die Krippe, und schäme dich nicht, ein Lasttier deines Herrn zu sein!“
Für die Kirchenväter Gregor von Nyssa und Ambrosius von Mailand war ein anderer Aspekt von Ochs und Esel im Stall wichtig. Nach ihrem Verständnis symbolisierte der Ochse das Volk Israel, das bei der Geburt dabei ist, aber das große Ereignis nicht versteht. Der Esel sei wiederum Symbol für die nichtjüdischen Ungläubigen, die Heiden, die gar nichts begriffen. Beide Kirchenväter bezogen sich dabei auf eine Stelle im Alten Testament bei Jesaja (1,3): „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht.“
Generell tun sich Judentum und Christentum schwer mit ihrem Verhältnis zum Tier. Wie bei Religionen mit Ursprung in Agrargesellschaften üblich, ist das Tier in erster Linie ein Nutzobjekt. Das ist schon in der Schöpfung im Buch Genesis angelegt. Darin fordert Gott den Menschen ausdrücklich dazu auf, sich die Erde zu „unterwerfen“ und über alle anderen Lebewesen zu „herrschen“ (1,28).
Es gibt jedoch eine andere Schöpfungsgeschichte im gleichen Buch (2, 15ff). Darin fordert Gott den Menschen auf, er solle den Garten Eden mit all seinen Geschöpfen „bebauen und hüten“, also nix da mit Herrschaft und Massentierhaltung. Und vielleicht das schönste Zusammenleben zwischen Mensch und Tier schildert die Geschichte von der Arche Noah fünf Kapitel später: eine Mensch-Tier-WG im Schiffsbauch.
Auf jeden Fall liebten die Menschen Ochs und Esel im Stall von Bethlehem. In der Krypta der Kathedrale von Chartres gibt es ein Steinrelief aus dem 13. Jahrhundert, auf dem die Tiere zu sehen sind, die das Jesuskind mit ihrem Atem wärmen – der Esel hebt sogar einen heruntergerutschten Deckenzipfel auf. Der tierliebe heilige Franziskus, von dem es hieß, er rede sogar mit Vögeln, erfand Heiligabend 1223 in Greccio bei Rom die lebendige Krippenfeier mit echten Viechern (das verwendete Stroh soll später Wunder getätigt haben).
Im Stall von Bethlehem jedenfalls sollten Ochs und Esel die Ärmlichkeit der Lage des Gottessohnes illustrieren. Und die Frohe Botschaft spricht, genau genommen, auch Tiere an. Jesus fordert seine Jünger auf: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Markus 16,15). So ist denn auch das Paradies, wie es Jesaja (11, 6ff) beschreibt, ein Ort perfekter Harmonie zwischen Menschen und Tieren: „Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten“, schreibt der Prophet.
Aber hätten es im Stall nicht eindrucksvollere Tiere sein können als Ochs und Esel? Der katholische Geistliche Aloys von Euw aus Morschach erklärt dies so: Ein Engel habe alle Tiere der Welt vor der Geburt Jesu zusammengerufen, um zu prüfen, wer dem Kind im Stall helfen könne. Den König der Tiere, den Löwen, lehnte der Engel ab, weil er zu grimmig, den klugen Fuchs, weil er zu verschlagen, den schönen Pfau, weil der zu eitel sei. So ging es weiter. Am Ende waren nur Ochs und Esel übrig, die nichts vorzubringen hatten als ihre Demut und Geduld. „Vielleicht könnten wir dann und wann mit unseren Schwänzen die Fliegen verscheuchen“, meinte bescheiden der Ochse. Da sagte der Engel: „Ihr seid die richtigen!“ Also, vielleicht stellen Sie den Ochs und den Esel doch wieder in den Stall. PHILIPP GESSLER
Philipp Gessler, 36, ist taz-Berlin-Redakteur