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Zu billigen Bässen hüpfen die „Sissy Boyz“ auf und nieder und und rappen: „Meine Freiheit: Uneindeutigkeit“. Sie sind Bremens einzige Drag Boy-Band

„Geschlechterklischees sind eine Parodie, für die es noch nie ein Original gegeben hat“

Sie wollen keine Könige sein, sondern Jungs. Die fünf Frauen nennen sich Mike, Steve, Dennis, Joeye und Dan. Sind, so behaupten sie, zwischen 17 und 24 Jahre jung. Kleiden sich juvenil: Die langen Haare unter Strickmützen gestopft, in hängenden Hosen und Trainingsjacken, mit Pulswärmern und kleinem Backenbart. So hüpfen sie auf und nieder zu billigen Bässen und spielen Boy-Group. „Sissy Boyz“ heißen sie – Bremens einzige Drag Boy-Band.

Ob Mann oder Frau ist keine Frage der Geschlechtsteile, sondern eine persönliche Entscheidung – das ist das Prinzip der Drag-Bewegung. Männer, die als mondäne Damen über Varieté-Bühnen tanzen, gibt es schon lange – Drag Queens. Die ersten Drag Kings tauchten in den 80ern in den USA auf: Frauen im Nadelstreifen-Anzug, mit dickem Dildo in der Hose und angeklebtem Bart. Viele „mackern“ wild drauf los, fassen sich in den wohlgewölbten Schritt und erzählen sexistisches Zeug.

In Deutschland wächst die Szene langsam: In Berlin feierten Frauen im vergangenen Jahr ihre Männlichkeit auf dem „go drag!“-Festival, im karnevalesken Köln treffen sich die Geschlechtsgrenzgängerinnen zu einem Stammtisch. Und in Bremen hüpfen die „Sissy Boyz“ auf und ab, zum Beispiel in den Pausen des queerfilm-Festivals im Kino 46: „Woooow!“ „Ohhh jaa!“ Die ZuschauerInnen stöhnen auf. Auf der Bühne pellen sich die fünf Frauen aus ihrer Jungen-Kleidung, ziehen an Pulliärmeln, treten auf ihre Hosen. Strip it! Am Ende stehen die Drag Boys da – nicht nackt, sondern in hautfarbenen Shirts mit aufgemalten Bauchmuskeln, in knappen Turnhosen und Netzstrümpfen.

Männlich? Eher verwirrend, nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Mann, nicht Frau. „Ich kann es nicht leiden, wenn wir eine bestimmte dominante Männlichkeit nur nachspielen“, sagt Steve, Basecap und Bart. Alpha-Mann im Anzug und dicke Hose ist nicht ihr Ding, die Sissy Boyz tragen keine Dildos.

„Mit solchen Klischees spiegeln wir das Patriarchat doch nur unreflektiert wieder“, meint Steve. Die Boys wollen sich nicht auf ein Geschlecht festlegen lassen: Die Welt ist bunt und Geschlechterrollen sind dazu da, ignoriert zu werden. „Meine Freiheit: Uneindeutigkeit“, rappen sie in die johlende Menge.

„Queer“ ist der neue Oberbegriff für alle Identitäten jenseits der festgelegten Frau-Mann-Schemata. „Queer“ heißt komisch oder seltsam und war der Versuch amerikanischer AktivistInnen, sich gegen die gängige Kontrastierung von „normal“ und „anders“ zu wehren: Mann normal, Frau anders, heterosexuell normal, homosexuell anders, weiß normal, schwarz anders. Die Botschaft der Queer-Theorie: Eine Norm gibt es nicht. Stattdessen: Schwule, Lesben, Bisexuelle, Intersexuelle ohne genaues biologisches Geschlecht, Drag Kings und Queens, Transsexuelle, schwule Frauen.

„Gender trouble“, nennt es die US-amerikanische Theoretikerin Judith Butler, die Vordenkerin der queer-Theorie. In Deutschland verbreitet sich das Verständnis von „queer“ vor allem an Unis und in schwul-lesbischen Kreisen –„queer“-Szene. Die ist überzeugt: Geschlechterklischees sind eine Parodie, für die es noch nie ein Original gegeben hat.

Die Sissy Boyz tanzen seit eineinhalb Jahren zusammen durch Bremens „queer“-Szene. Auch in Cottbus, Warschau und London sind sie bereits über die Bühne geturnt. Ice Ice Baby, die Arme wild gerudert, alle zusammen, und dann einmal um sich selbst gedreht. Jenseits von queer-Partys und Soli-Festen wollen sie vorerst nicht auftreten. „Das geht ganz schnell, dass Du von einer Kommerzströmung geschluckt wirst“, meint Steve skeptisch. „Dann unterstützt Du automatisch das, was Du nicht unterstützen willst.“

Den Auftrag, dominante Geschlechterklischees in der Gesellschaft mit ihrer Perfomance aufzubrechen, sehen sie nicht. Sie wollen unter sich bleiben. „Das funktioniert nicht, wenn das Publikum nicht integriert ist“, glaubt Joeye. Wagenburgmentalität bei den Sissy Boyz.

Sissy heißt Waschlappen und Ernsthaftigkeit gehört nicht zum Programm der Jungs. „Joggen gehen wir nie, wir haben ja unsere Bauchmuskel-T-Shirts.“ Sechs Lieder sind das ganze Programm, die Auftritte playback, sie grölen die Texte der Popsongs begeistert mit, die Bewegungen nicht synchron, dann geht ihnen die Puste aus. Alle lachen, KünstlerInnen, ZuschauerInnen, Riesenspaß. „Wir wollen nicht perfekt sein“, sagt Dan. Schwarze Haare, schicke Punk-Frisur, dunkler Bart, runde Brust. „Wir tanzen sowieso dauernd auf Partys und singen laut in der Öffentlichkeit – warum nicht auf einer Bühne?“ Ironische Distanz ist den Boyz wichtig. Nicht sagen, wie man wirklich heißt, was man sonst so treibt, was wirklich zählt.

Irgendwann am Ende heben die vier Frauen Dan in die Höhe. Inbrünstig singt er, die Arme gen Himmel gebreitet, Blick in die Ferne. Eine Diva in Netzstrumpfhosen, Turnhose und mit tollen aufgemalten Bauchmuskeln. Eine Frau ist ein Mann ist eine Frau. Dorothea Siegle