: Die Sünder von der Müll-Kollekte
VON MATTHIAS URBACH
Man kennt sich, kommt ins Gespräch. „Wie wäre es mit einer Kooperation?“, fragt der Geschäftsführer einer großen Müllfirma einen kleinen Mittelständler. Die beiden verabreden sich, schließlich rückt der Geschäftsführer mit der Sprache heraus: „Hören Sie, wir sind ein großes Unternehmen, Sie ein kleines – warum sollen wir uns nicht helfen? Wie wäre es, wenn Sie Ihre Sortieranlage mal eine Weile nicht am Markt anbieten – und wir Ihnen dafür, sagen wir, 300.000 Euro jährlich zahlen?“
Solche Szenen spielen in Krimis – und seit Neuestem in der Müllbranche. Denn so oder so ähnlich lief offenbar vor einem halben Jahr ein Gespräch unter Abfallunternehmern ab. Hans Jürgen Cierzon, Geschäftsführer der Trapp Rohstoffe und Recycling GmbH bekam nach eigenen Angaben im Mai gleich zwei solch unmoralische Angebote, eines von der RWE Umwelt Südwest und genau zwei Wochen später eines von der zur Rethmann-Gruppe gehörenden Rhenus AG. „Die beiden wollten ihre Pfründen absichern“, sagte Cierzon der taz.
Die Vorgänge sind auch aktenkundig bei der Staatsanwaltschaft Köln und im Bundeskartellamt. Grund für die 300.000-Euro-Prämie ist offenbar der Versuch großer Müllunternehmen, Preise abzusprechen – und Konkurrenz fern zu halten. Anlass war die europaweit größte Ausschreibung ihrer Art durch die Duale System Deutschland AG (DSD): Sie bat im Frühjahr die Müllbranche um Angebote für das Abtransportieren und Trennen von Glas und Leichtverpackungen („Grüner Punkt Müll“) in allen 440 deutschen Sammelgebieten. Es ging um einen Auftragswert von rund 3,6 Milliarden Euro. Zu der Ausschreibung hatte die EU-Kommission die DSD gezwungen (siehe Kasten).
Was die Unternehmen dann für Altglascontainer und gelbe Säcke verlangten, entsprach nicht ganz dem, was die DSD erwartet hatte. Nur ein Viertel der Angebote war nach DSD-Kalkulationen seriös. Der Rest war teuer, oft maßlos überhöht. Die Angebote waren so haarsträubend, dass das Duale System im kommenden Jahr die Hälfte der Verträge neu ausschreiben muss. Für die Leichtverpackungen hatte die DSD in 179 von 440 Sammelgebieten jeweils nur ein einziges Angebot erhalten, bei Glas sogar in fast 230 Landkreisen. Mit Preisen, die im Schnitt um zwei Drittel höher lagen als dort, wo tatsächlich Konkurrenten gegeneinander antraten.
Dabei gibt es auf dem Müllmarkt nach Einschätzung des Kartellamts gleich neun potente Großunternehmen die sich Konkurrenz machen könnten. Doch nur in 14 Prozent der Gebiete konkurrierten zwei der Großen um einen Auftrag. Wenn, dann machten die Kleinen Konkurrenz, obwohl es ihnen naturgemäß schwerer fällt, sich in mehreren Gebieten zu bewerben. Auch verwunderte die Kartellwächter, dass die Angebote der Großen bundesweit sehr eng beieinander lagen, während die Mittelständler im Preis stärker variierten; das wäre „unter Wettbewerbsbedingungen nicht zu erwarten gewesen“, erklärten die Ermittler dem Amtsgericht Köln und erwirkten einen Durchsuchungsbeschluss.
Im September durchsuchten 300 Beamte der Staatsanwaltschaft Köln und des Kartellamts gleichzeitig 142 Entsorgungsfirmen. Die beschlagnahmten Akten füllen 140 Bücherkisten – und beschäftigen nun die Ermittler.
Der Verdacht wird zudem durch Zeugen erhärtet. Das geht aus dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Köln hervor, der der taz vorliegt. Einer ist Geschäftsführer eines mittelständischen Entsorgers im Südwesten. Er berichtete den Ermittlern von direkten Preisabsprachen von im Saarland und in Rheinland-Pfalz aktiven Müllfirmen: Deren Geschäftsführer hätten sich auf Preise zwischen 13 und 14 Euro pro Einwohner und Jahr geeinigt. Beteiligt seien die RWE Umwelt, die Becker-Gruppe, die Altvater-Gruppe, protokollierte das Amtsgericht. Falls der Zeuge lügt, müsste er über prophetische Gaben verfügen. Denn tatsächlich bot bei der DSD in 15 von 35 rheinland-pfälzischen Gebieten jeweils nur einer der drei – und stets in der angegebenen Preisspanne.
Der Zeuge erklärte den Ermittlern, die Absprache sei ihm klar geworden, nachdem er vergeblich versucht hatte, Sortieraufträge an die großen drei zu vergeben, um selbst bei der DSD mitbieten zu können. Insbesondere ein Manager der RWE Umwelt Südwest habe ihm „deutlich gemacht“, heißt es in den Gerichtsakten, „dass eine Gebietsaufteilung stattgefunden habe und mittelständische Unternehmen ohne eigene Sortieranlage nur als Subunternehmer in einzelnen Gebieten beauftragt werden sollten“. Genau derselbe Mann, der der Firma Trapp die 300.000 Euro geboten haben soll.
Eigentlich sollte die Ausschreibung Transparenz ins Gewerbe bringen. Schließlich handelt das Duale System knapp 95 Prozent aller Leichtverpackungen und Altglasmengen – und bildet damit ein so genanntes Nachfragekartell. Lange hatte die DSD eng mit den großen Entsorgern zusammengearbeitet – bis vor kurzem noch saß der Vorstandschef von RWE Umwelt im Aufsichtsrat der DSD. Vor allem Mittelständler hofften, dank der Ausschreibung endlich einen lukrativen Anteil des Müllhaufens zu ergattern. Weil die meisten Sammelgebiete der DSD zu groß für Mittelständler sind, schlossen sich einige zu Arbeitsgemeinschaften (Arges) zusammen. Einige der Großen reagierten offenbar mit Erpressung: Ein Zeuge sagt aus, RWE Umwelt hätte einem Mittelständler gedroht, seiner Partnerfirma keine Entsorgungsfässer mehr abzunehmen, wenn er an einer Arge teilnehme – mit Erfolg. „Einige Mittelständler sind unter dem Druck der Großen eingeknickt und wieder aus den Arges ausgeschieden“, bestätigt der Mittelständler Hans Jürgen Cierzon der taz. „Man muss Verständnis für jeden haben, der sich um seine Existenz und seine Familie sorgt.“
Die beiden Branchenführer RWE Umwelt und die Rethmann-Gruppe wollen gegenüber der taz das „laufende Verfahren“ nicht kommentieren. Kurz nach den Durchsuchungen hatte sich zumindest der Vorstandschef der RWE Umwelt, Bernard Kemper, noch weit aus dem Fenster gelehnt: „Es hat zu keinem Zeitpunkt Preisabsprachen gegeben.“ Die Preisgebote seien so hoch gewesen, weil viele Rahmenbedingungen unklar gewesen seien, erklärte Kemper, der auch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) ist: „Wir werden als Branche diskriminiert.“
Probleme mit „unklaren Rahmenbedingungen“ hatten die kleineren Konkurrenten offenbar nicht. Viele Mittelständler unterboten die Großen – zu Teil mit erheblich günstigeren Angeboten.
Weil sich die Untersuchung noch Monate hinziehen wird, muss die DSD AG nun improvisieren. Nur ein Viertel der Ausschreibung lieferte „marktgerechte“ Ergebnisse. In einem weiteren Viertel erzielte das Duale System jetzt durch Nachverhandlungen offenbar akzeptable Preise. In der Hälfte der Fälle aber, wo überwiegend nur ein Anbieter mit Mondpreisen antrat, will das DSD nun die alten Verträge für ein Jahr verlängern – bis die neue Ausschreibung durch ist. Im letzten Moment vor dem Jahreswechsel gelang es der DSD noch, sich mit den Entsorgern über die Konditionen zu einigen. Das Bundeskartellsamt hätte lieber gleich 70 Prozent der Verträge neu ausgeschrieben.
Bei Mittelständlern wie Cierzon trifft dieses Verhalten auf wenig Verständnis: „Ich hätte schon erwartet, dass die Unternehmensteile, die diese Spielchen getrieben haben, jetzt nicht wieder von der DSD beauftragt werden“, sagt der Unternehmer, der als Präsident auch dem Verband der mittelständisch geprägten Entsorgungswirtschaft BVSE vorsteht. Franz Heistermann, der für die Ermittlungen zuständige Direktor im Kartellamt, nimmt die DSD in Schutz, schließlich müsse sie ja den Müll auch nach dem 1. Januar 2004 bundesweit einsammeln lassen. „Und da muss die DSD auch mit verdächtigen Unternehmen weiterarbeiten.“
Heistermann ist bereits mit der DSD im Kontakt, um die zweite Auschreibung im kommenden Jahr zu formulieren. Denkbar sei, erklärte Heistermann gegenüber der taz, dass man die Sammelgebiete weiter verkleinere, um es für Mittelständler leichter zu machen, auch ohne die Gründung einer Arge mitzubieten. Jenseits möglicher Strafen könnten sich damit die mutmaßlichen Preisabsprachen als Bumerang für die Großen erweisen. Schon in der ersten Ausschreibung trotzen die Mittelständler den Großen jeden siebten Auftrag ab. Die zweite Ausschreibung gibt ihnen Gelegenheit, sich neu aufzustellen – und so den Konzernen weitere Landkreise abzujagen.