: Wer vergiftete Juschtschenko?
Wiener Diagnose: Ukrainischer Präsidentschaftskandidat Juschtschenko offenbar Opfer von Dioxinanschlag. Kiew nimmt Ermittlungen wieder auf. Klitschko widmet Sieg der Ukraine
KIEW/WIEN/BERLIN dpa/afp/taz Zwei Wochen vor der Präsidentenstichwahl in der Ukraine ermittelt die Staatsanwaltschaft erneut wegen des Verdachts eines Giftanschlags auf Oppositionskandidat Wiktor Juschtschenko. Die Akten seien wieder geöffnet worden, nachdem Wiener Ärzte eine schwere Dioxinvergiftung diagnostiziert hatten, gab die Kiewer Staatsanwaltschaft am Wochenende bekannt.
Nach eingehender Untersuchung waren die Ärzte der Wiener Privatklinik Rudolfinerhaus zu dem Befund gekommen, dass Juschtschenko vermutlich absichtlich vergiftet worden ist: Es bestehe „kein Zweifel, dass eine Vergiftung mit Dioxin vorliegt“, sagte Chefarzt Michael Zimpfer. In Blut und Gewebe des Patienten sei eine sehr starke Dioxinkonzentration festgestellt worden, die mindestens das Tausendfache der normalen Konzentration betrage.
Juschtschenko hatte von Anfang an den Verdacht geäußert, er sei vergiftet worden, um ihn auszuschalten. Er war am 10. September in die Wiener Klinik gebracht worden, wo er mehr als drei Wochen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen behandelt wurde. Sein Gesicht ist seither von Narben entstellt. Auch bei seiner Ankunft am vergangenen Freitag in Wien hatte er erneut betont, er gehe von einem Mordanschlag aus.
Die Diagnose löste bei den Anhängern Juschtschenkos wenig Überraschung aus. „Nach dem Sieg Juschtschenkos werden sich alle Personen im In- und Ausland, die in den Giftanschlag verwickelt sind, vor dem Gesetz verantworten müssen“, sagte die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko. Demgegenüber äußerten sich Juschtschenkos Kontrahent bei der Präsidentenwahl, Wiktor Janukowitsch, und der scheidende Präsident Leonid Kutschma nicht zu dem Befund. Zuvor hatte Janukowitsch seinen Widersacher noch als „Feigling und Schwätzer“ bezeichnet.
Unterdessen wurde gestern in der Ukraine offiziell der Wahlkampf eröffnet. Dieser scheint ähnlich niveauvoll zu sein wie vor den beiden vergangenen Runden. So warf Janukowitsch seinem Widersacher im Fernsehen finanzielle Unterstützung aus dem Westen vor. „Die lange Vorbereitung vor der Wahl mithilfe ausländischer und amerikanischer Fonds hat sich heute ausgezahlt“, sagte Janukowitsch in seinen Hochburgen im Osten des Landes. Auch Juschtschenko, der laut jüngsten Umfragen mit 10 Prozentpunkten vor Janukowitsch liegt, will sich nach Oppositionsangaben vor allem auf die Ostukraine konzentrieren.
Dessen wahrscheinlicher Sieg scheint auch den ukrainischen Boxstar Vitali Klitschko beflügelt zu haben. Er verteidigte am Wochenende in Las Vegas seinen Weltmeistertitel im Schwergewicht. „Dieser Triumph ist für mich ebenso wichtig wie für die Ukraine, für alle Menschen, die dort für die Demokratie kämpfen, denen ich ein Siegesgefühl vermitteln wollte“, sagte Klitschko und ließ orangefarbenes Konfetti in die Arena regnen. BO
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