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Archiv-Artikel

„Schwerkranke sind keine Täter“

Joint als Medizin: Der Frankfurter Oberstaatsanwalt und Betäubungsmittelstrafrecht-Spezialist Harald Hans Körner über die Bedingungen, unter denen Cannabis als Medizin für Schwerkranke in Deutschland zugelassen werden könnte

taz: Herr Körner, ist das Cannabis-Urteil im Fall des Morbus-Crohn-Kranken ein Zeichen für ein Umdenken der Justiz?

Harald Hans Körner: Es handelt sich um eine mutige Entscheidung, die aber nur in diesem konkreten Einzelfall weiterhilft. Allerdings mehren sich derartige Fälle in Deutschland und zwingen Verwaltung und Gesetzgeber zum Handeln.

Der therapeutische Erfolg von Cannabis ist unbestritten. Woran liegt es, dass Kranken dieses Medikament immer noch verweigert wird?

Die Verschreibung und die Abgabe von Cannabis ist nach dem deutschen Betäubungsmittelgesetzes (BTMG) verboten und strafbar. Rechtsprechung und Verwaltung müssen geltendes Recht anwenden.

Gibt es für die Betroffenen 2004 Hoffnung?

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die ärztliche Behandlung mit Cannabis gemäß § 3, Absatz 2 BTMG im öffentlichen Interesse liegen und ausnahmsweise genehmigt werden kann.

Was heißt das konkret?

Das Bundesgesundheitsministerium könnte in Zusammenarbeit mit der Bundesopiumstelle für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen sowohl für Patienten als auch für Ärzte und Apotheker Sorge tragen. Einzelnen zuverlässigen Personen oder Einrichtungen könnte eine Ausnahmeerlaubnis für den Anbau und die Abgabe von Cannabis-Kleinmengen zu medizinischen Zwecken erteilt werden. Die Ergebnisse von wissenschaftlichen Erprobungsprojekten könnten für die Beantwortung der Frage genutzt werden, ob Cannabis in einem abgegrenzten Bereich für medizinische Zwecke in die Anlage III zum BTMG (verschreibungsfähige Betäubungsmittel) überführt werden soll.

Andere Länder sind weiter.

In England, den Vereinigten Staaten und Kanada werden bereits vielfältige Versuche unternommen, Schwerkranken zu Cannabis zu verhelfen, ohne das grundsätzliche Cannabisverbot aufzuheben. Entweder man erteilt Ausnahmegenehmigungen für den Anbau, die Verschreibung, die Abgabe und Vergabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken, oder man räumt den Strafverfolgungsbehörden das Recht ein, in diesen Fällen von Strafverfolgung abzusehen.

Sie haben zu dem Thema etliche Gutachten und Rechtskommentare geschrieben. Warum sind Sie so engagiert?

Ich bin als harter Strafverfolger von Drogenhändlern und -schmugglern bekannt. Schwerkranke sind aber Opfer und keine Täter. Sie haben Anspruch auf jedwede Hilfe. Strafrecht sollte immer Ultima Ratio sein. Wer Schwerkranken nicht mit medizinischer Behandlung, sondern mit Verboten und Strafen begegnet, verkennt Sinn und Zweck des BTMG.

Können Sie uns den Sinn des Betäubungsmittelgesetzes bitte erklären?

Die Bestimmungen des BTMG sollen den Missbrauch verhindern und die Gesundheit der Bevölkerung schützen. Die Verweigerung von Erlaubnissen für eine medizinische Behandlung mit Cannabis verlängern und vertiefen aber die Krankheitsbilder von Schwerkranken und setzen in unerträglicher Weise die Volksgesundheit aufs Spiel.

Sie haben Kontakt zu der Arbeitsgruppe „Cannabis als Medizin“. Beeindruckt Sie das Engagement dieser zum Teil todkranken Leute?

Ich habe bei einer Reihe von Angehörigen erlebt, wie notwendig die Vergabe von Betäubungsmitteln, etwa Morphium im Finalstadium von Tumorkranken, ist. Ich kann deshalb nur schwer nachvollziehen, dass man schwer kranken Patienten, die der Behandlung mit Cannabis bedürfen, diesen Stoff verwehrt. Dabei wird nicht zur Kenntnis genommen, dass Ende des 19. Jahrhunderts Extractum Cannabis indica oder Tinctura Cannabis indica weltweit als häufige Arzneimittel Anwendung fanden.

INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE