: Süßer Smoke vom Apotheker
Der 44-jährige Frührentner Michael G. ist Vorreiter im Kampf für eine Freigabe von Cannabis als Medizin. Das Moabiter Amtsgericht erlaubte ihm jüngst den Eigenanbau. Jetzt will er seine Pflänzchen in Apotheken bringen. Eine ist dazu schon bereit
VON PLUTONIA PLARRE
Im nächsten Jahr könnte Cannabis in die Apotheken kommen – jedenfalls wenn es nach Michael G. geht. Vor wenigen Wochen erst hat der 44-jährige Frührentner Schlagzeilen gemacht. Ein Moabiter Amtsrichter billigte dem chronisch kranken Mann zu, sich in einer Notlage befunden zu haben, als er auf seinem Balkon Cannabis zu therapeutischen Zwecken angebaut hatte.
Mit dem ungewöhnlichen Urteil – der Kleingärtner braucht keine Strafe zu zahlen – ist der Fall aber nicht zu Ende. Im Gegenteil. Den „tollen Richterspruch“ im Rücken, will nun Michael G. alles dransetzten, dass Cannabis als Medizin für chronisch Kranke endlich legal verfügbar wird. „Mein Ziel ist: 2004 kommt Cannabis in die Apotheke.“ Er führe den Kampf keineswegs nur für sich selbst, sondern stellvertretend für viele Schwerkranke und Todgeweihte. Für Leute, die anderes zu tun hätten, als sich in ihren letzten Lebensmonaten mit der Justiz herumzuschlagen. „Ich hätte Schwierigkeiten, in den Spiegel zu gucken, wenn ich die Sache auf sich beruhen lassen würde.“
Seit 1992 ist G. in Rente, seit 21 Jahren leidet der Elektroanlagenmonteur an Morbus Crohn, einer chronisch entzündlichen in Schüben verlaufenden Erkrankung des Verdauungstrakts. Im Verlaufe der langen Krankheitsgeschichte hat er viele Medikamente und Therapien ausprobiert, hat sich mit hohen Dosen Cortison und Antibiotika behandelt. Die blutigen Durchfälle und Abzesse am Gesäß wurden jedoch nicht besser, sondern schlimmer. Dazu kam ein rapider Gewichtsverlust.
Das einzige Therapeutikum, das G.s Leiden wirklich lindert, ist Cannabis. Dabei handelt es sich aber nicht um synthetisch hergestellte Medikamente mit dem Cannabiswirkstoff Tetrahydrocannabinol, die aus dem Ausland über hiesige Apotheken zu beziehen sind. Abgesehen davon, dass er diese Produkte nicht bezahlen könnte – die Krankenkasse übernimmt keinen Cent – verträgt G. auch diese Mittel nicht.
1996 stieß der Mann durch einen Zufall auf die Hanfpflanze. Mit Marihuanazigaretten und Sitzbädern aus Cannabissud gelang es ihm mit zunehmendem Erfolg, seine Beschwerden zu lindern. Die vor Jahrtausenden von den Chinesen entdeckte Heilwirkung der Pflanze sei auf dem besten Wege, sich nach Jahrhunderte langer Vergessenheit wieder zu einem Heilmittel der Zukunft zu entwickeln, hat der Frankfurter Oberstaatsanwalt und Spezialist für das Betäubungsmittelgesetz, Harald Hans Körner, in Gutachten festgestellt. Mittlerweile würden Ärzte in aller Welt sowohl erlaubt als auch unerlaubt tausende von Patienten mit THC-haltigen Arzneimitteln und Cannabisprodukten behandeln.
Da natürliche Cannabisprodukte in Deutschland weder von Ärzten verschrieben noch von den Apotheken abgegeben werden dürfen, weil sie vom Gesetzgeber als nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel eingestuft und somit verboten sind, griff G. zur Selbsthilfe und baute sich auf dem Balkon die eigene Medizin an. Das ging nicht lange gut. Im Mai 2000 informierte ein Nachbar wegen eines süßlichen Geruchs die Polizei. Die Uniformierten beschlagnahmten 59 Cannabispflanzen, und Michael G. musste sich wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln vor Gericht verantworten. Was kam, war ein Verhandlungsmarathon: Im April 2002 wurde G. vom Amtsgericht zu einer fünfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Das Kammergericht hob das Urteil jedoch wieder auf und verwies den Fall erneut ans Amtsgericht. Dort stieß der Frührentner im November 2003 auf den Richter Michael Zimmermann, der dem Angeklagten eine Notlage zugestand. Nur dass G. gleich 59 Pflanzen angebaut habe, sei nicht tolerabel, befand Zimmermann. Bei einem täglichen Konsum von 200 Milligramm hätte diese Menge für 1.200 Tage ausgereicht. Zimmermann: „Das ist nicht nötig.“
Michael G. versteht das Urteil so: Der Anbau einer geringeren Menge wäre okay gewesen. „Ich bin der Einzige in Deutschland, der legal anbauen darf“, freut er sich. Nun führe für die Bundesopiumstelle kein Weg mehr daran vorbei, seinen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Anbau von Cannabis in begrenztem Umfang für medizinische Zwecke zu bewilligen, ist G. überzeugt. Seinen erster Antrag lehnt die Behörde im Februar 2001 ab. G. klagte vor dem Verwaltungsgericht Köln dagegen. Die Entscheidung steht noch aus. Das Gericht wollte erst den Ausgang des Strafverfahrens abwarten. Bei der Bundesopiumstelle liegen inzwischen an die 1.000 Anträge von Schwerkranken auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung.
Für G. steht fest: „2004 werde ich wieder anbauen.“ Aber nicht nur das: 2004 komme Cannabis in die Apotheke. Zumindest seines. Er habe auch schon einen Apotheker gefunden, der bereit sei, ihm seine Pflanzen abzunehmen, sagt der Frührentner. Namen und Anschrift hält er aber noch geheim. Und auch zu den Details verrät er nur so viel: Der Apotheker werde ihm das Cannabis abwiegen und in einer zwei- oder mehrwöchigen Ration zuteilen. „Damit ist gewährleistet, dass kein Unsinn passieren kann“, sagt G.
Mit seinem Plan will er auch verhindern, dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung an der Frage der praktischen Umsetzung – sprich: Zuteilung des Cannabis – scheitert. Das Ganze ist zunächst zwar nur eine individuelle Lösung, aber Erweiterungen könnten und sollen folgen. „Ich gehe davon aus, dass andere Apotheken aufspringen.“