OHNE DIE KRAJINA-SERBEN WIRD DER WIEDERAUFBAU KROATIENS SCHEITERN : Perspektive: Heimat
Wenn an Silvester bei den Balkan-Verantwortlichen der EU in Brüssel die Sektkorken knallen, wird den mit der Rückkehr der kroatischen Serben in ihre Heimat betrauten Hilfsorganisationen zum Heulen zu Mute sein. Denn zum Jahreswechsel dreht die EU den Geldhahn zu für den Wiederaufbau der zerstörten serbischen Häuser in der ehemaligen „Serbischen Republik Krajina“ – obwohl erst ein Bruchteil der Gebäude renoviert ist.
Acht Jahre nach Kriegsende reiht sich entlang der Straße von Knin, der größten Stadt der Krajina, zur dalmatinischen Küste nach wie vor ein zerstörtes Dorf an das andere. Dabei ist klar: Die einzigen Menschen, die das Gebiet wieder kultivieren könnten, sind die serbischen Flüchtlinge, die heute in Camps in Serbien oder in den Häusern vertriebener bosnischer Kroaten und Muslime im serbisch dominierten Teil Bosniens leben. Damit blockieren sie ihrerseits die Rückkehr vieler bosnischer Flüchtlinge. Der Schlüssel zur Lösung des Flüchtlingsproblems in Exjugoslawien liegt also in Kroatien. Trotzdem sollen künftige EU-Gelder für diese Republik nicht mehr in die Repatriierung der serbischen Minderheit, sondern in die Verbesserung der administrativen Strukturen des Landes gepumpt werden. Schließlich will Kroatien in den nächsten zehn Jahren Teil der Gemeinschaft werden. Dazu müssen die Verwaltungen miteinander kompatibel sein – von der Kommune bis in die Spitzen des Staates. Bezogen auf einen EU-Beitritt folgt die neue EU-Politik also durchaus einer gewissen inneren Logik. Mit den Problemen von zurückkehrenden Serben jedoch hat sie nichts zu tun.
Rückkehrer brauchen ein Dach auf ihrem ausgebrannten Haus, Vertrauen in den kroatischen Staat und die kroatischen Nachbarn – und eine wirtschaftliche Perspektive für die Zukunft. Das hat die EU auch einmal so gesehen – und deshalb die Rückkehr der kroatischen Serben zur Bedingung einer möglichen EU-Aufnahme Kroatiens gemacht. Nun, nach acht Jahren misslungener Rückkehrpolitik, wird offensichtlich versucht, dieses Scheitern mit höchst fragwürdigen Argumenten zu kaschieren. Was, wenn viele Serben gar nicht zurückkehren wollen? Das fragt zum Beispiel der EU-Repräsentant in Zagreb, Jacques Wunenburger. Fragen wie seine stehen hinter der EU-Entscheidung, die praktische Wiederaufbauhilfe auslaufen zu lassen.
Flankiert wird die neue EU-Linie von einer unsinnigen Stichtagsregelung der kroatischen Regierung: Nur wer sich bis Ende 2001 bei den kroatischen Behörden gemeldet hat, darf zurückkehren. Tatsächlich aber gibt es vor allem Serbien-Montenegro viele Krajina-Serben in, die bis heute nichts von dieser Regelung wissen. Sie leben oftmals seit Jahren in menschenunwürdigen Camps in Serbien, die mehr und mehr an die Flüchtlingslager im Gaza-Streifen erinnern. In den Camps haben sich Machtstrukturen entwickelt, an deren Spitze nicht selten Anhänger des Regimes von Slobodan Milošević oder des Führers der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei, Vojislav Šešelj, stehen. Für diese „Camp-Leader“ bedeutet jeder Krajina-Flüchtling, der zurück geht, einen Verlust an Macht und Einfluss. Sie verfügen vielfach über ein Informationsmonopol. Daher ist in den Flüchtlingscamps oft schlicht nicht bekannt, dass sich auch in Kroatien das gesellschaftliche Klima in den vergangenen Jahren verändert hat. Die kroatischen Serben werden bewusst ihren Ängsten überlassen, um sie zu radikalisieren und dauerhaft an das extremistisch-nationale Lager zu binden.
Damit mussten in den vergangenen Jahren auch die Rückkehrhelfer des deutschen Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) umgehen. Die Vorstellung der ASB-Arbeit in den serbischen Camps ähnelte demnach bisweilen Schulstunden, in denen einfachste Alltagsverhältnisse in den kroatischen Rückkehrergebieten erklärt werden mussten. Die deutsche Organisation hat in den vergangenen Jahren allein mit einem Programm 23.000 Kroatienflüchtlinge zurück in ihre Häuser gebracht und zum Beispiel Gewächshäuser gekauft, damit die Familien sich selbst eine Existenzgrundlage aufbauen können. Auch mit diesem Projekt ist es vorerst vorbei. Aber das Beispiel zeigt, dass es Lösungsansätze für das Rückkehrerproblem in Exjugoslawien gibt. Doch dazu braucht es vor allem eines: Zeit. Deshalb ist es widersinnig, die Rückkehrperspektive an ein Zeitlimit zu binden – administrativ wie finanziell. Diese Perspektive, Rückkehr in die alte Heimat, muss offen bleiben. Sie muss offensiv verfolgt werden. Dafür bedarf es nachhaltigen Interesses und eines langen Atems. FRANK HOFMANN
Der Autor ist Historiker und Journalist. Er arbeitet bei der ARD und beim Deutsche Welle TV