: „Alle jäten ihren Garten“
Demokratie, Überbevölkerung und das unaufhaltsame Monster Markt: Ein Gespräch mit der italienischen Regisseurin Lina Wertmüller, deren Filme das Arsenal in einer Retrospektive zeigt
INTERVIEW CLAUDIA LENSSEN
taz: Signora Wertmüller, Sie haben eine Vorliebe für barocke Filmtitel. Fällt Ihnen ein Titel zur aktuellen Situation in Italien ein?
Lina Wertmüller: Wie wäre „Ein komischer Auftakt zum neuen Jahrtausend“? Italien ist zurzeit tief gespalten. Ich verfolge die Politik schon seit Jahren, ich war immer eine Linke, eine anarchoide in dem Sinne, dass ich vermieden habe, in die politischen Strukturen einzusteigen. Es wurde mir oft angetragen, aber ich langweile mich bei Reden. Ich denke, dass man mit seiner Arbeit sagt, was man sagen muss.
Sie lieben die pralle Satire. Wie wäre es mit einem polemischen Film über Berlusconi?
Man könnte hundert Filme über die aktuelle Situation machen. Andererseits nimmt die Politik einen zu großen Platz im Leben der Menschen ein. Im Fernsehen sind mehrere politische Talkshows parallel zu sehen. Wir identifizieren uns nicht mehr mit der Politik: Das scheint mir das größere Problem zu sein.
Sie zeigen grelle Gegensätze zwischen Machos und Frauen, der Oberschicht und Verlierern, dem industriellen Norden und dem bäuerlichen Süden Italiens. Welche Kontraste faszinieren Sie heute? Gibt es eine etablierte Linke, über die es sich lohnt, Witze zu reißen wie in „Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August“?
Aber sicher. Ich habe eine Fortsetzung der Geschichte geschrieben und hoffe, dass ich es schaffe, einen Film daraus zu machen. Ich warte ab, was noch alles passiert. Es sind alles andere als leichte Zeiten. Die Welt hat sich sehr verändert. Auch wenn es Figuren wie Bush, Berlusconi, Bin Laden nicht gäbe, glaube ich nicht, dass unsere Probleme verschwunden wären. Es herrscht ein großes Durcheinander. Für mich ist das Hauptproblem die Überbevölkerung: Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren wir etwas mehr als eine, am Ende fast sieben Milliarden. Von diesen sieben geht es einer Milliarde gut, den übrigen sechs geht es schlecht. Hunger, Krankheiten, Kriege und sogar Atombomben – das ist nicht mehr der alte Krieg zwischen Arm und Reich. Die Machtkämpfe sind mit den Religionen und der Weltwirtschaft verknüpft. Wir sind auf einem schwankenden Schiff. Das Erste, was man machen sollte: Präservative. Eine drastische Maßnahme.
Haben Sie das auch dem Papst gesagt?
Der Papst braucht die Gläubigen wie die Politiker Wählermassen.
Er wird doch nicht gewählt wie ein Politiker.
O doch. Allerdings nicht von den Armen. Das sind extrem gefährliche Strukturen, die die Massen brauchen, damit sie ihren Wahnsinnsideen folgen. In der Idealvorstellung lebt die Menschheit mit einer gesunden Verteilung des Reichtums, das heißt in einer gut funktionierenden Demokratie von intelligenten Menschen. Im antiken Athen gab es 3.000, in Florenz waren es in der Renaissance 17.000, jetzt sind es 7 Milliarden.
Welche politische Struktur, welche Organisationsform sehen Sie, die die Verhältnisse verändern könnte?
Ich habe noch nie eine politische Kraft gesehen, die sich ernsthaft damit auseinander setzt. Alle sind damit beschäftigt, in ihrem kleinen Garten zu jäten. Mittlerweile wird die Sache dringend. Während wir reden, werden eine Million Menschen gezeugt. Man müsste für ein gerechtes Gleichgewicht kämpfen, nicht für partikulare Interessen.
Welche Verbindung sehen Sie zwischen der Globalisierung und der Überbevölkerung?
Die Globalisierung des Kapitals braucht Käufer. Politiker reisen heute nach China, weil China ein großer Markt ist. Das hat mit der wirklich wichtigen Frage, wie es den Menschen geht, nichts zu tun. Allah hat den arabischen Staaten das Öl geschenkt, damit man aus den Gewinnen Schulen und eine gesunde Wirtschaft machen kann. Was ist daraus geworden? Ein paar Milliardäre und Waffen. Das sollte uns zu denken geben. Die Menschen sind im Grunde ein dummes und kriminelles Geschlecht.
Vergeht Ihnen die Lust, komische Filme zu machen?
Auf keinen Fall. Man sorgt dafür, dass mir die Lust vergeht, indem man mich meine Filme nicht machen lässt. Aber das ist keine Zensur nach politischer Logik. Der Markt ist ein unaufhaltsames Monster. Und wer schafft es, dieses Monster zu dirigieren? In der Regel die Schlechtesten.
In Ihrem Film „Francesca e Nunziata“ (2001) verliert Sofia Loren aus Liebe alles, was sie an Unabhängigkeit erworben hat. Schadet die Liebe den Frauen?
Wissen Sie, es handelt sich um den Roman einer siebzigjährigen Autorin, die bis dahin noch nie etwas geschrieben hat: die Geschichte der ersten Unternehmerin Italiens, die aus dem Pasta-Unternehmen ihres Vaters eine große Fabrik macht, reich wird und sich einen schönen Fürsten als Mann kauft. Trotz ihrer Kraft unterliegt sie aus Liebe den finanziellen Machenschaften ihres Mannes. Solch ein Risiko gehen auch die stärksten Frauen häufiger ein als Männer.
Das ist Ihr melodramatischster Film.
Ja, weil es nicht mein Drehbuch ist.
Haben Sie die Nostalgie entdeckt?
Nein, ich war in den Spannungsbogen der Geschichte verliebt: Die Loren in großer Aufmachung, um sich Luxus und Geld. Alles sehr flüchtig. Ihr fehlt die Bereitschaft, sich von dieser Liebe zu lösen– wie bei Madonnas letztem Film, den sie aus Liebe zu ihrem Mann gemacht hat.
Was haben die Frauen im italienischen Kino erreicht? Haben Sie Kontakt zur jüngeren Generation?
Wir waren damals sehr von unseren „Meistern“ begeistert. Wir waren eine Welt und kannten einander. Die jungen Leute suchen nicht das Gespräch. Das Einzige ist, dass wir gegenseitig unsere Filme anschauen.