: Wieder mal über Integration sprechen
In Neukölln diskutierten Politik und Bürger über das bunte Miteinander – und verloren sich in Schuldzuweisungen
Ein türkischer Mann aus dem Publikum erhebt an diesem Montagabend im Neuköllner Rathaus sich und seine Stimme. „Integration ist ein Traum, und Träume sind jeden Morgen vorbei“, sagt er. Seit dreißig Jahren lebt der Mann in Deutschland. Das Podium mit Vertretern aus Politik und der Bürgerstiftung Neukölln sowie mit dem Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB), Safter Çinar, wollte trotzdem über Integration von Migranten in Berlin diskutieren. Aber gelingen wollte das auch nicht recht.
PDS-Bezirksvorstand und Fraktionsvorsitz hatten eingeladen. Auch den Bürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD). „Multikulti ist gescheitert“, sagt der und meint, das sei besonders in Neukölln sichtbar. In Berlin sei eben in den letzten 25 Jahren keine Integrationspolitik betrieben worden. „Das sage ich nicht erst seit Oktober dieses Jahres.“ Seit dem Mord an Regisseur Theo van Gogh im Oktober, der nicht nur Gewalt, sondern auch reichlich Diskussionen anheizte.
Auch im Neuköllner Rathaus wollte man auf diesen Zug aufspringen, klären, was Integration ist, welche Kriterien es dafür gibt und woran man ihren Erfolg oder Misserfolg messen könnte. Doch das Publikum rumorte ungeduldig, denn das Podium verlor sich in Begriffsdefinitionen und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Der Integrations- und Migrationsbeauftragte des Senats, Günter Piening, etwa sagte: „In der Integrationsdebatte fehlt mir, dass man nicht nur über Probleme, sondern auch über Ziele spricht. Wohin soll ein Einwanderbezirk wie Neukölln gehen?“ Und Buschkowsky entgegnete: „Herr Piening will Vorschläge? Er ist der politisch Verantwortliche, von ihm müssten Impulse kommen.“
Dass die Jugend wichtiger Adressat von Integrationsmaßnahmen sein sollte, ist nicht neu, wurde aber ebenso angesprochen. „Wir entlassen allein in Neukölln in diesem Jahr 750 Jugendliche, die keine Chance auf eine Lehrstelle, auf eine berufliche Zukunft haben“, so Buschkowsky. „Wie sollen die ihr Leben planen?“ Ein Lehrer aus dem Publikum fordert eine zahlenmäßig gerechtere Umverteilung der Migranten an den Schulen. „Das ist kein Konzept zur Integration“, setzt Günter Piening dagegen. „Wir müssen die Schulen in die Lage versetzen, mit dem hohen Ausländeranteil umzugehen.“
Durch die veränderte Schulgesetzgebung und Schulsenator Klaus Bögers Signal, demnächst mehr Sozialarbeiter an den Schulen einsetzen zu wollen, sei man da schon auf dem richtigen Weg, meint Piening. Ganz praktisch denken er und seine Kollegen derzeit darüber nach, wie man zweisprachige Elternabende an den Schulen finanzieren kann. Er fordert ein Mitdenken aller Beteiligten beim Thema Integration: „Auch Stadtentwicklung, Wirtschaft und Bildung sind gefragt.“
Heinz Buschkowsky legt großen Wert darauf, dass Integration in Neukölln kein „rein türkisches Problem“ sei. „Hier leben 163 Nationen, da gibt es Gruppen, die viel abgekapselter leben als die türkische Community.“
Dass sich Migranten in ihre Ethnien zurückziehen liegt für Evrim Baba (PDS) daran, dass sie sozial benachteiligt werden: „Sie besinnen sich auf ihre Tradition und Religion zurück als Reaktion auf die Politik, auf eine rassistische Ausländergesetzgebung und diskriminierende Sozialgesetze.“
„Was Multikulti ist, interessiert mich herzlich wenig“, sagt TBB-Sprecher Safter Çinar. „Die Migranten sollen nur die Chancen nutzen können, die ihnen die Gesellschaft bietet.“ Er wünscht sich mehr Gelassenheit in der Integrationsdiskussion. „Einwanderung ist immer ein Problem, für alle Beteiligten. Da reicht es nicht, zu sagen, wir packen das jetzt an.“ JULIANE GRINGER