: Den Schock gibt es nicht
Obwohl dem Schulsport laut jüngster Studie die Beziehung zur Lebensrealität der Jugendlichen fehlt und es besonders an der Hauptschule Defizite gibt, fällt das Fazit nicht katastrophal aus
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Wolf-Dietrich Brettschneider schien jede Menge Kreide gefressen zu haben. Der Sportwissenschaftler von der Universität Paderborn hatte noch in der Wochenendausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einem Interview kräftig vom Leder gezogen. Brettschneider war zu den Ergebnissen der Schulsportstudie des Deutschen Sportbundes (DSB) befragt worden und zeigte sich über die Ergebnisse entsetzt. „Die Politik kriegt ganz schön die Hucke voll“, tönte der wissenschaftliche Leiter der Studie. Am Montag bei der offiziellen Vorstellung der Ergebnisse in Berlin präsentierte sich Brettschneider dann ganz brav und verkündete in sachlichem Ton die ersten Zwischenergebnisse der Schulsportuntersuchung.
Es wurde trotzdem deutlich, warum der Sportwissenschaftler am Wochenende so kräftig ins Horn gestoßen hatte. Die Sportlobbyisten haben Angst, dass sich in der allgemeinen Erregung über die schwachen Leistungen deutscher Schüler, die in der zweiten Pisa-Studie erneut schlecht abgeschnitten haben, das Interesse der Bildungspolitik auf die Förderung der kognitiven Leistungen fokussiert. Der Satz des römischen Satirikers Juvenal, wonach ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohne, ist zwar in den Volksmund übergegangen. Doch der wissenschaftliche Nachweis, dass die kognitiven Fähigkeiten mit den motorischen Fertigkeiten wachsen, fehlt bislang. Zwar gebe es, so Brettschneider, Anzeichen dafür, mehr aber auch nicht.
Um die Notwendigkeit der Sporterziehung zu untermauern, wurden Studien zum Gesundheitszustand der Kinder in Deutschland angesprochen. So seien die Probleme, die immer mehr Heranwachsende mit ihrem Gewicht haben, nicht in der Hauptsache mit falscher Ernährung, sondern eher mit der Inaktivität der Kinder und Jugendlichen zu begründen. In diesem Punkt hat die Schulsportuntersuchung ein interessantes Ergebnis zutage gefördert. Je weiter die Heranwachsenden in ihrer Schullaufbahn fortgeschritten sind, desto weniger Anreize bietet ihnen der Sportunterricht für ihre außerschulische Freizeitgestaltung. Trendsportarten sind unterrepräsentiert. Aus den Antworten der befragten Schüler lässt sich herauslesen, dass dem Schulsport der Bezug zur Lebensrealität von Jugendlichen fehlt.
Für die Studie wurden Fragebögen, die von 199 Schulleitern, 1.158 Lehrern, 8.863 Schülern und 4.352 Eltern aus sieben Bundesländern beantwortet worden waren, ausgewertet. Das auffälligste Ergebnis betrifft den Stundenumfang des Sportunterrichts. Vorgesehen sind in beinahe allen Ländern und Schulformen drei Wochenstunden Sport. Realisiert wird das jedoch nur in der Grundschule, in der Sekundarstufe fällt beinahe jede dritte Sportstunde aus. Vor allem in der Hauptschule wird bei Ausfall einer Lehrkraft kein Sportunterricht abgehalten. Ebenfalls vor allem ein Hauptschulproblem ist der Unterricht, der durch fachfremdes Lehrpersonal geleitet wird. Die Schülergruppe, die in den Sportvereinen unterrepräsentiert ist, kommt auch in der Schule nur schwer in Bewegung. Die Hauptschule ist also auch im Schulsport ein Sorgenkind.
Ein besonderes Anliegen von Brettschneider ist die inhaltliche Ausrichtung des Sportunterrichts. Aus den Schüleraussagen, wonach sich viele Heranwachsende vom Sportunterricht vor allem die Förderung ihrer Leistungsfähigkeit erwarten, leitet Brettschneider die Forderung nach Abschaffung der „Kuschelpädagogik“ in der Schulsporthalle ab. Anstrengung und Leistung seien von der Sportpädagogik lange Zeit vernachlässigt worden. Nun sei es Zeit, das zu ändern. Wie, weiß Brettschneider auch nicht. „Mit dieser Forderung ist nicht gemeint, die Schüler jeden Tag um die Wette laufen zu lassen“, sagte er nur.
Überhaupt soll die Studie Anlass bieten, sich Gedanken über den Schulsport der Zukunft zu machen. Vor allem mit der Forcierung der Ganztagsschule ergäben sich neue Chancen für den Sportunterricht. Das sah auch die rheinland-pfälzische Kultusministerin Doris Ahnen so, die als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz die Bildungsträger bei der Vorstellung der Studie repräsentiert hat. Sie war übrigens gar nicht so unzufrieden mit den Ergebnissen. So sind die Schulen mit Sportanlagen und Geräten nicht schlecht ausgestattet. Auch genießt der Sportunterricht ein hohes Ansehen im Kollegium und bei den Schülern. Die Zusammenarbeit der Schulen mit Vereinen funktioniere immer besser. Da kann der gute Herr Brettschneider noch so viele Kraftausdrücke verwenden. Wer die Studie liest, wird feststellen: Einen Schulsportschock wird es nicht geben.