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Archiv-Artikel

Blutig, blau und hartnäckig

Geburtstagshiebe in Stadthagen, Rollkommandos 15-Jähriger in Hamburg, Messerstechereien in Hannover, Schüler mit Schädelhirntrauma in Celle - auf einem „Gewaltgipfel“ diskutierten Experten Konzepte gegen prügelnde Schüler

von KAI SCHÖNEBERG

Es tat weh. Es war schlimm. Und dennoch spricht Rudolf Krewer heute von einer Art „Glückfall“, wenn er sich an die Ereignisse vom Mai vergangenen Jahres erinnert. Als die Schule mit den „Geburtstagsprügeleien“ war die Haupt- und Realschule am Schlossberg in Stadthagen damals durch die Medien gerauscht. „Von Flensburg bis zum Bodensee sind wir von denen durchgehechelt worden“, sagt Schulleiter Krewer. Kids zwischen 14 und 17 Jahren hatten es sich damals zum Sport gemacht, Gleichaltrige zum Geburtstag „blutig und blau“ zu vermöbeln, sagt Krewer. Der Schulleiter erstattete Anzeige. 65 Fälle wurden von der Polizei aufgenommen, 30 Schüler vom Amtsgericht zu sozialen Diensten „verknackt“, einer saß sogar sechs Wochen in Untersuchungshaft, weil er Zeugen bedroht hatte.

Die Geschehnisse waren für Krewer Anlass, den Schulalltag radikal zu verändern – deshalb „Glücksfall“. Für die achten und neunten Klassen gibt es jetzt das Wahlpflichtfach „Konflikttraining“, schon die siebten und achten Klassen lernen soziales Verhalten. Andere Stadthagener Schüler betreuen Senioren im Altersheim. Ein Teil des Zeugnisses, das sich jetzt die Eltern an der Schule abholen müssen, behandelt die Sozialkompetenz. Es gibt ein Anti-Schwänzer-Programm, eine Box AG und einen Sozialarbeiter. „In den 70ern wurde die große Freiheit ausgerufen“, sagt Schulleiter Krewer. „Aber man muss die Demokratie auch vorleben. Sonst endet das im Chaos.“

Gewalt ist hartnäckig: Trotz aller Maßnahmen waren die Stadthagener im Sommer wieder mit Geburtstagsprügeleien in den Schlagzeilen. Immerhin schützten die Opfer aber jetzt nicht mehr ihre Peiniger. Stadthagen ist nicht allein. Rollkommandos 15-Jähriger in Hamburg, Messerstechereien in Hannover, Schüler mit Schädelhirntrauma in Celle – weil die Gewalt trotz guten Pädagogenwillens nur schwer zu stoppen ist, hatte Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann (CDU) jüngst zum „Gewaltgipfel“ mit gut 200 Experten nach Hannover geladen. Er sei gegen Fußfesseln für Schwänzer oder Schulhöfe mit Wachpersonal. In den Schulen dürfe es „nicht wie auf dem Airport beim Einchecken“ zugehen, betonte Busemann. Aber wie dann?

Niedersachsen will in Zukunft Präventionsprogramme schon an Grundschulen, Kindergärten und Kitas bringen. Außerdem erarbeitet Busemanns Ministerium gerade einen Leitfaden für Lehrer, der ihnen helfen soll, mit „hochdelinquenten“ Kindern und Jugendlichen umzugehen. Ob das hilft, steht in den Sternen. Oft wäre Integration das Anti-Gewalt-Schlüsselwort. Vor allem „Schüler auf der Loser-Seite“ neigten zu Gewaltexzessen, sagte der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts, Christian Pfeiffer. „Wer sich nach unten bücken muss, wird nach unten treten“, sagte Pfeiffer. Der Fall Stadthagen habe „das Pars pro Toto“ gezeigt. Bei den Geburtstagsprügeleien hätten vor allem die jungen Türken draufgehauen. Damals hatte Pfeiffer sich, noch als SPD-Justizminister, in Stadthagen engagiert. In Moscheen prangerte er offensiv die „Macho-Kultur“ der Einwanderer an. Außerdem schrieb er allen türkischen Eltern Briefe, in denen er sie aufforderte, ihre jungen Knaben „nicht wie kleine Prinzen“ zu erziehen. Im Alltag seien sie das schließlich auch nicht.

Auch zu viele deutsche Kids neigen zu frustriertem Draufhauen. Pfeiffer prangerte die „wachsende Medienverwahrlosung“ an. Fast 60 Prozent aller Kinder hätten heute einen Fernseher im Zimmer. Pfeiffer: „Wer sich hinter der Kiste verkriecht, nimmt am echten Leben nicht mehr teil. Vielseher haben deutlich schlechtere Noten als Wenigseher“. In den Schulen wie in Stadthagen fühlt man sich inzwischen durch schlimme Erfahrungen gestählt, aber noch nicht auf der sicheren Seite. Den Erlass von Kultusminister Busemann, der bei Prügeleien eine bessere Zusammenarbeit von Schulen, Staatsanwaltschaft und Polizei herstellen soll, „befolgen wir schon seit vielen Jahren“, sagte Ditmar Heise von der Berufsbildenen Schule 2 in Celle. Dort gingen Lehrer nach einer Serie von Vorfällen nicht nur mit Funkgeräten auf den Pausenhof, um im Fall der Fälle schneller Hilfe anfordern zu können. Bei jedem härteren Vergehen gibt es auch „sofort eine Anzeige bei der Polizei“, sagt Heise. Wichtig sei „konsequentes Beachten und Verfolgen der Gewalt“. Dafür wären jedoch mehr Stunden nötig – genau die wird es in Niedersachsen jedoch kaum geben. Heise: „So wie es jetzt ist, reicht es hinten und vorne nicht“.