: Innovationstransfer
Das SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER
„Die Kommunikation über die neuen Medien und attraktive Online-Dienstleistungen der Verwaltung für die Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger stärken die Position Deutschlands im internationalen Wettbewerb.“
Bundesinnenminister Otto Schily in seinem Grußwort zum 4. eGovernment-Wettbewerb 2003/04
Mein Fazit zu Silvester, nach dem vorläufigen Scheitern der EU-Verfassung und der Verabschiedung des so genannten Reformpakets: Politisch geht es erst einmal zurück in den Nationalstaat, und im sozialen Bereich wird die Klassengesellschaft wieder hergestellt. Dafür geht es auf dem Gebiet der Kommunikationstechnologien umso stürmischer voran; die „Initiative Bund Online 2005“ setzt unübersehbare Zeichen. Mit ihr, so der zuständige Minister, „leistet der Bund einen entscheidenden Beitrag zum Ausbau einer modernen und leistungsstarken eGovernment-Landschaft in Deutschland bis zum Jahr 2005. Die Schaffung von Basiskomponenten wie einer Beschaffungsplattform und die zielstrebige Online-Bereitstellung aller internetfähigen Dienstleistungen des Bundes macht die deutsche Verwaltung fit für die Informationsgesellschaft.“ Die Zukunft, die hier eingeläutet wird, ist schon sprachlich eine Katastrophe und inhaltlich ziemlicher Murks; Schily sollte sich mal seinen Ghostwriter vorknöpfen.
Immerhin: Verwaltungsmodernisierung und Bürokratieabbau heißen die Zielsetzungen, irgendwie soll dann am Ende eine vollelektronische Regierung stehen. Bürgernah und hoch effizient. Erste Anzeichen bekam ich zu spüren, als ich neulich mit einer Bundeseinrichtung in Berlin, danach mit einer Landeseinrichtung in Düsseldorf telefonierte und erfuhr, es sei normal, dass ein Schriftstück aus Düsseldorf in der Poststelle von Berlin vier Wochen auf seine Weiterleitung an den zuständigen Sachbearbeiter warten müsse. Wenig später teilte mir die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit, ich hätte eine „Namensänderung“ gemeldet, und übersandte mir einen neuen Versicherungsausweis: „Er ist ein wichtiges Dokument. Bitte behandeln Sie ihn ebenso sorgfältig wie Ihren Personalausweis.“ Auf Nachfrage wurde ich belehrt, ich könne das Ding auch wegschmeißen; der Computer habe sich geirrt, tröstlicherweise nicht nur in meinem Fall.
Wenn es so weitergeht, gerät der elektronische Kapitalismus mit all seinen Basiskomponenten und Netzwerkplattformen zu einer tragischen Veranstaltung – ist er doch unentwegt im Begriff, seine eigenen respektablen Errungenschaften zu unterminieren. Die Paralyse unserer Verwaltungseinrichtungen ist dabei nur ein beklagenswertes, im Übrigen wenig dramatisches Beispiel, weil sie nur den Niedergang preußischer Effizienz vollendet – ein selbst verschuldetes Unglück, das sich wie der Verfall unseres Schulsystems oder die Auszehrung unserer Universitäten in nationalstaatlichen Grenzen hält. Das Elend hat eine lange Vorgeschichte. Deutschland hatte es schwer genug, sich aus Agrarverhältnissen zum Industriestaat emporzuarbeiten. Seine Modernisierung nahmen die Nazis in die Hand. Danach erst einmal Abbau und Demontage, Wiederaufbau und rheinischer Kapitalismus, die Steinkohle wird heute noch gefördert – und jetzt plötzlich die höhere Mathematik der Informationsgesellschaft. Man kann von einem Land nicht mehr fordern, als seine soziohistorische Ausstattung und seine Wandlungsfähigkeit erlauben. Damit ist es bei uns offenbar nicht weit her.
Andererseits sind wir bekanntlich längst global vernetzt, und auf internationaler Ebene zeigt sich noch viel drastischer, was geschieht, wenn sich ein System in seinen eigenen Widersprüchen verfängt. Dies wurde mir klar, als ich mich etwas genauer mit „Cisco Systems“ befasste. „Cisco Systems“ ist ein weltweit operierendes US-Unternehmen, das die Globalisierung, mit Goethe gesprochen, am „sausenden Webstuhl der Zeit“ betreibt, indem es anderen Unternehmen, aber auch Staaten, Regierungen und Großverwaltungen „Internet Business Solutions“ anbietet. „Cisco Systems Deutschland“ gehört zu den Erfindern des „eGovernment-Wettbewerbs“; auf seiner Homepage wirbt es mit dem markigen Slogan „Es ist Ihr Netzwerk. Sie müssen seine Kraft nur freisetzen.“ Das ist den Deutschen, trotz ministerieller Grußworte, offenbar nur ausgesprochen schwer klar zu machen.
Vernünftig somit, dass sich „Cisco Systems“ in erster Linie nicht an absterbende, sondern an aufstrebende Industrieländer wie China hält, um sie netzwerkmäßig über die Schwelle des Feudalkapitalismus hinweg- und gleich in die elektronische Zukunft zu hieven. Im September 2002 ergatterte die Firma einen Auftrag von „Shanghai Telecom“, einer Tochter von „China Telecom“, dem größten chinesischen Telekommunikationskonzern. Es ging um die Lieferung von hochwertigen Routers ins Reich der Mitte. Routers – „Wegweiser“ – sind elektronische Schaltzentralen, mit denen es möglich ist, bestehende Netzwerke untereinander und mit dem Internet so zu verknüpfen, dass Datendichte und Übertragungsgeschwindigkeit die Einrichtung neuer Internetdienste gewährleisten. Wer über ein Router-System verfügt, weiß, wie Informationsströme funktionieren. Das heißt, er weiß auch, wie sie abzubremsen, zu kanalisieren und erforderlichenfalls zu strangulieren sind. Anfang Dezember jedenfalls beschuldigte die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ einige führende Internetfirmen, darunter „Cisco Systems“ und „Yahoo!“, der chinesischen Regierung bei der Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Internet behilflich zu sein. „Cisco Systems“, so stellte sich heraus, liefert Peking die gewünschte Technologie zur Überwachung unbotmäßiger E-Mails und zur Abschaltung basisdemokratischer Diskurse im Netz.
Die Geschichte erinnert an den legendären Industriearbeiter im Zweiten Weltkrieg, der in die Rüstungsfabrik abkommandiert wird. Eigentlich hat er gelernt, Staubsauger zu bauen – doch wie er es auch anstellt, es wird immer ein Maschinengewehr daraus. Kriege freilich waren dem weltweiten Wirtschaften von Fall zu Fall nützlich – die Unterdrückung der Informationsfreiheit ist es nicht. Das Beispiel von „Cisco Systems“ belegt nicht nur die Gewissenlosigkeit der Verkäufer – das wäre keine neue Erkenntnis, zumal die Abwesenheit von Moral der Expansion der freien Marktwirtschaft noch nie geschadet hat. Der Fall ist bedenklicher, weil er zeigt, dass der Kapitalismus mittlerweile Technologien entwickelt, die seiner freien Entfaltung ebenso wie seiner Behinderung, wo nicht gar seiner Zerstörung dienlich sind. Die Informatik, die China für die Welt und die Welt für China öffnen soll, birgt gleichzeitig den Schlüssel, um die Welt vor der Neugier der Chinesen zu verriegeln. Das läuft auf eine rasante Kommerzialisierung nach außen bei effektiver Kontrolle nach innen hinaus: eine fernöstliche Turbo-Marktwirtschaft, internetgestützt und hinter elektronischem Stacheldraht. Ein Projekt, das die historisch bewährte Dialektik von Kapitalismus und Demokratie erstmals außer Kraft setzen würde. Der freie Westen könnte sich rühmen, diese fatale Parodie auf seine Ethik dank Innovationstransfer selbst in die Welt gesetzt zu haben.