: Ersatzknorpel aus der Petrischale
Die Knieprothese ist nach der künstlichen Hüfte das am zweithäufigsten „ausgetauschte“ Gelenk des menschlichen Körpers. Die frühzeitige Versorgung eines schadhaften Knies mit Ersatzgewebe könnte jedoch oftmals eine Prothese überflüssig machen
VON PETER-MICHAEL PETSCH
Seitdem der Mensch die Höhle verlassen hat, ist viel Zeit vergangen. Zwar ist nicht bekannt, ob unsere Urahnen nach ihren Jagdausflügen – wie der moderne Mensch nach einem Bürotag – über Schmerzen des Bewegungsapparates klagten. Sicher ist jedoch, dass die Schäden an unseren Gelenken stark zunehmen. So steigt beispielsweise die Zahl der implantierten künstlichen Kniegelenke ebenso an wie die Zahl der Kniegelenksprothesen.
Geht den künstlichen Hüften meist ein Schenkelhalsbruch voraus, ist das Hauptproblem bei den behandlungsbedürftigen Kniegelenksschäden die Arthrose. Nach den jährlich rund 200.000 in Deutschland implantierten Hüften, ist die Knieprothese das am zweithäufigsten „ausgetauschte“ Gelenk des menschlichen Körpers. Diesem Gelenkverschleiß geht oft eine Schädigung der Weichteilstruktur, wie der Menisken oder der Kreuzbänder, voraus.
Verletzungen am Meniskus wurden vor der Einführung der Kniespiegelung (Arthroskopie) bis in die 80er-Jahre hinein beispielsweise mit der Komplettentfernung des betroffenen Meniskus behandelt. Mit der Folge, dass es zu einem frühzeitigen Knorpelverschleiß kam. Dieser Knorpelschaden (Arthrose) ist sehr schmerzhaft und kann, wenn alle anderen therapeutischen Möglichkeiten ausgereizt sind, nur mit einer Gelenkprothese, einer Totalen Endoprothese (TEP), behandelt werden.
„Für viele, vor allem für junge Menschen ist die Vorstellung zukünftig mit einem künstlichen Gelenk im Körper herumzulaufen, erschreckend. Andererseits sind die Schmerzen und die Bewegungseinschränkungen für den Patienten auch nicht auf Dauer hinnehmbar“, so der Stuttgarter Orthopäde und Kniespezialist Jürgen Beyer, ärztlicher Leiter der Apollo-Klinik.
„Wenn der Knorpelschaden im Gelenk eine gewisse Größe noch nicht überschritten hat, dann gibt es sinnvolle Alternativen zur Knieprothese“, erläutert Jürgen Beyer. Deshalb ist eine Früherkennung von Gelenkschäden sehr wichtig. Schließlich hat der Patient bereits Symptome im betroffenen Gelenk, lange bevor es zur vollständigen Arthrose kommt.
Wird bei einer diagnostischen Kniespiegelung ein begrenzter Knorpelschaden festgestellt, dann besteht für Knieexperten die Möglichkeit, gelenkerhaltend zu therapieren. Eine Möglichkeit hierzu ist die „Autologe Chondrozyten-Transplantation“, bei der während der Arthroskopie etwas Gelenkknorpel aus einem nicht belasteten Areal des Knies entnommen und anschließend im Labor angezüchtet und vermehrt wird.
Nach zirka drei Wochen wird diese Neuzüchtung des Knorpelgewebes auf einer Zellmembran in einer zweiten Operation auf die schadhafte Gelenkstelle aufgebracht. Dabei wird die Membran durch eine kleine Eröffnung des Kniegelenks in dem Knorpelschaden fixiert. „Der große Vorteil bei diesem Verfahren ist, dass bei dieser Operation kein minderwertiger Ersatzknorpel, sondern der normale hochwertige hyaline Gelenkknorpel den Defekt verschließt“, berichtet Beyer von den Vorteilen dieser Methode.
Eine andere Möglichkeit, es bei einem bestehenden Knorpel-schaden nicht zur Arthose und damit zur Gelenkprothese kommen zu lassen, bietet die so genannten Mosaikplastik. Hier werden Knorpelknochenstanzzylinder aus einem zwar mit Gelenkknorpel überzogenen Bereich des Gelenks, der aber außerhalb der Belastungszone liegt, entnommen. Diese Zylinder werden dann in den Bereich des Knorpelschadens implantiert. Dadurch wird die schadhafte Stelle sofort mit körpereigenem Gewebe beseitigt.
„Dieses Verfahren funktioniert aber nur, wenn das schadhafte Areal in einem Verhältnis zur gesunden möglichen Entnahme oder Spenderfläche steht. Weshalb es sich nur für kleine Defekte eignet“, so Jürgen Beyer.
Eine weitere Option, durch die auch bei großflächigen Knorpeldefekten auf eine Prothese verzichtet werden kann, liegt in der Bioprothese. Hier vertrauen die Experten auf die biologische Regeneration der Gelenkflächen. Doch dafür braucht der Patient viel Geduld, da er für rund drei Monate sein Knie nicht belasten darf.
Die Technik besteht darin, die defekte Gelenkfläche mit einer Hochgeschwindigkeitsfräse so weit abzuschleifen, dass aus dem darunter liegenden Knochen Stammzellen ausgeschwemmt werden. Diese Zellen sammeln sich in der entstehenden Blutplombe über dem Defekt und sind durch ihre speziellen Zellstrukturen in der Lage, wieder neuen Gelenkknorpel zu bilden.
„Unsere Ergebnisse sind sehr ermutigend. Mit unseren verschiedenen Methoden besteht in sehr vielen Fällen die Chance, den Patienten eine sinnvolle Alternative zu einer TEP zu bieten“, so Orthopäde Beyer.
Trotz der großen Fortschritte im Bereich der Gelenkversorgung ist es aber immer noch besser, es überhaupt nicht zu einem Knorpelschaden kommen zu lassen. Denn wer sich eine paar Regeln zu Eigen macht, der hat gute Chancen, recht lange auf seinen eigenen Gelenkflächen ins Büro oder auf die Jagd zu gehen.