Auf der Suche nach dem Unerwarteten

KLICK UND KLACK Es gurgelt und blabbert auf der neuen Platte des elektronischen Musikers Guido Möbius. Daneben finden sich aber auch gerade Beats. Zeit, dass der Mann was Größeres wird als ein Geheimtipp

Die Gitarren streuen immer wieder flotte Riffs aus dem Funk ein, während Bläser schmettern. Daneben gibt es fantasievoll und feingliedrig arrangierte Versatzstücke

VON THOMAS WINKLER

Die Frage ist simpel, folgerichtig und unvermeidlich. Trotzdem hat sie sich Guido Möbius lange Zeit nicht gestellt. Bis gestern. Da tauchte sie wieder auf. Die Frage lautet: Warum singe ich nicht selbst?

Guido Möbius ist bekannt geworden als Meister elektronischer Klicks und Klacks, als Konstrukteur filigraner, aber gesangsloser Klanglandschaften. Nun aber drängt sich diese Frage auf – nun, wenn man „Gebirge“ hört, das neue, dritte Album von Möbius. Denn dort baut er nicht nur wundervoll verschachtelte, fantasiereiche und humorvolle Musik, sondern er setzt das erste Mal auch intensiv Gesang ein. Der stammt allerdings nicht von ihm selbst. Es singt Andreas Gogol, als Go:Gol auch bekannter Künstler und Filmemacher, der nun ausgiebig gurgelt und gackert, blubbert und blabbert.

Früher hat der 40-jährige Möbius regelmäßig gesungen in den Bands, in denen er spielte, bevor er den Alleingang am Computer als Ausdrucksform entdeckte, und das sogar „mit viel Kopfstimme“. Aber nichts hätte ihm ferner gelegen, als seine detailreichen Klangcollagen mit der eigenen Stimme zu verzieren. Die Gründe illustrieren die Arbeitsweise von Möbius.

Möbius ist stets auf der Suche nach dem nicht Erwartbaren. Die Überraschung ist sein musikalisches Gestaltungsprinzip, und dazu gehört für ihn, das Künstlerego aus dem Zentrum der Kunst zu rücken. „Extreme Ausdrucksformen fand ich schon immer spannender als das Berechenbare“, sagt er. Und zu den berechenbarsten Ausdrucksformen des Pop gehört die kalkulierte Selbstentäußerung: „Ich kann dieses Belcanto in der Popmusik, das sich so ernst nimmt, nicht ausstehen.“ Auf seinen ersten beiden Alben, den von der Kritik gefeierten „klisten“ (2003) und „dishoek“ (2005), perfektionierte Möbius einen radikalen Umgang mit den Möglichkeiten, die die Elektronik ihm bot. Er verzichtete nicht nur auf Gesang, sondern auch weitestgehend auf Rhythmen, auf die alles beherrschende Bassdrum, fiel aber auch nicht in die Fettnäpfchen von Minimal oder Avantgarde. Diese Musik war zwar verschlungen, aber doch zugänglich, war zugleich dicht und transparent, war zwar hochartifiziell, aber niemals hochnäsig, vor allem aber, so Möbius, „eine Reaktion auf das kraftstrotzende, maskuline Rocker- und Technotum“.

So etwas hatte man noch nicht gehört, aber allzu viele hörten es nie. Die seltsame, körperlose Musik von Möbius blieb ein Geheimnis, geschätzt von der Fachpresse, ignoriert von den Massen. Sein Geld verdient der Rheinländer, der seit mehr als zehn Jahren als zweifacher Familienvater in Berlin lebt, vornehmlich durch einen Musikverlag und seine eigene, in der Branche geschätzte Promotionagentur. Auch wenn er seine Dienste vornehmlich ehrenhaften Unternehmungen zur Verfügung stellt, muss er dabei immer wieder mal Kompromisse schließen – wenn er aber Musik macht, braucht er keine Rücksichten zu nehmen.

Deshalb stehen auch keine kommerziellen Überlegungen hinter dem Wandel, der „Gebirge“ prägt. „Ich hatte das Gefühl“, erzählt Möbius, „an der Stelle geht’s für mich nicht mehr weiter.“ Die radikale Abkehr von allen Konventionen schien ausgereizt. Möbius überwand also seine, wie er sie selbst nennt, „Beat-Bass-Paranoia“ und entdeckte Rhythmus und Gesang neu: „Es war eine Befreiung, die Körperlichkeit wieder reinzuholen, ohne das Alte aufzugeben.“

So finden sich auf „Gebirge“ doch tatsächlich immer wieder gerade Beats, mitunter sogar im 4/4-Takt. Der Gitarrist Möbius streut immer wieder ein flottes Riff aus dem Funk ein, während Bläser schmettern. Aber natürlich hat Möbius nicht nur einfach eine simple Popplatte gemacht: Nur sind diesmal die verwendeten Versatzstücke, die er so fantasievoll und feingliedrig arrangiert wie kaum ein anderer, leichter zu identifizieren. Sie stehen in einem amüsanten Wettstreit mit den „klanglichen Fundstücken“, die von einer Bratpfanne aus der Künstlerküche stammen können oder von einem „furchtbar hässlichen, aber gut klingenden“ Miniaturweihnachtsbaum.

Auch im Gesang von Andreas Gogol spiegelt sich diese neue Herangehensweise. Auf Text verzichtend, produziert er in all seiner lautmalerischen Exaltiertheit eine ironisch gebrochene Erinnerung an die Vokalkaskaden erfolgreicher Souldiven. Vor kurzem habe er zum ersten Mal seit Jahren wieder darüber nachgedacht, selbst zu singen, sagt Möbius. Und fügt an: „Vielleicht singe ich demnächst wieder, ich weiß nur noch nicht wie.“

■ Guido Möbius: „Gebirge“ (Karaoke Kalk/Indigo), Record Release Party heute im Ausland zusammen mit Vert, J. Forrest, DJ Mark Richter