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Archiv-Artikel

Immer mehr gefälschte Erfolge mit echten Opfern

KOLUMBIEN Hinter den angeblichen Erfolgen des Militärs im Kampf gegen bewaffnete Gruppen verbergen sich oft außergerichtliche Hinrichtungen. Staatsanwaltschaft zählt bisher 1.666 Opfer

PORTO ALEGRE taz | Derzeit vergeht in Kolumbien kaum ein Tag, an dem nicht Uniformierte wegen mutmaßlicher Beteiligung an außergerichtlichen Hinrichtungen festgenommen werden. Am Mittwoch und Donnerstag traf es neun Soldaten. Sie stehen unter Verdacht, neun junge Männer in drei Provinzen ermordet und danach als Guerilleros ausgegeben zu haben. „Falsche Positive“ heißt das im Militärjargon: falsche Erfolge im Kampf gegen bewaffnete Gruppen.

Damit stieg die Zahl der in den letzten zwei Jahren wegen solch außergerichtlicher Hinrichtungen verhafteten Uniformierten auf 434. Laut UN-Menschenrechtsbüro in Bogotá handelt es sich dabei nicht um vereinzelte Aktionen, „sondern um eine sehr verbreitete Praxis, die von einer bedeutenden Anzahl von Militäreinheiten im ganzen Land ausgeübt wurde“. Laut Staatsanwaltschaft werden derzeit über 1.000 Fälle untersucht, bei denen insgesamt 1.666 Menschen hingerichtet wurden.

Im Oktober waren 27 Soldaten, darunter drei Generäle, wegen solcher Morde entlassen worden. Oberbefehlshaber Mario Montoya musste im November zurücktreten. Allein von Januar 2007 bis Juni 2008 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen 535 Menschen außergerichtlich hingerichtet.

Am Montag räumte Verteidigungsminister Juan Manuel Santos erstmals einen derartigen Mord durch Soldaten ein, der nach dem Skandal im Oktober stattfand. In der Provinz Córdoba wurde an Weihnachten ein 18-jähriger Schüler ermordet und als Mitglied einer Drogengang ausgegeben. Dem kolumbianische Menschenrechtsnetzwerk „Koordination Kolumbien-Europa-USA“ zufolge geht die Armee wieder verstärkt zur Praxis des „Verschwindenlassens“ über. Zu den in diesem Jahr bekannt gemachten Morden schweigt die Regierung noch.

Minister Santos wirft den Kritikern vor, den „guten Ruf“ der Streitkräfte durch „viele falsche Anschuldigungen zu beschmutzen“. Präsident Álvaro Uribe stößt ins gleiche Horn. Natürlich müssten Menschenrechtsverletzungen untersucht und bestraft werden. Doch sollten durch falsche Anschuldigungen „die Aktionen der Sicherheitskräfte gegen die Terroristen“ gelähmt werden, behauptete er. Soldaten und Polizisten sollten staatliche Hilfe für ihre strafrechtliche Verteidigung erhalten.

Der Regierung kommen die Berichte ungelegen. Derzeit verhandelt sie in Brüssel zusammen mit Ecuador und Peru über ein Freihandelsabkommen mit der EU. Appelle von Gewerkschaftern und Solidaritätsgruppen, dabei Verbesserungen der Menschenrechtslage in Kolumbien zur Bedingung zu machen, bleiben weitgehend ungehört.

Immerhin sah sich die britische Regierung jetzt gezwungen, Teile ihrer Militärhilfe an Kolumbien umzuschichten. Zwar versicherte Staatssekretär Alan Campbell jetzt in Bogotá, seine Regierung lasse sich von der Kritik an der Militärhilfe nicht beeindrucken. Doch im April hatte London zwei Programme mit einem Etat von umgerechnet 213.000 Euro eingestellt. Man sei „ebenfalls besorgt“, dass kolumbianische Soldaten an „Missbräuchen“ beteiligt seien, sagte Außenminister David Miliband.

Washington prüft laut US-Botschaft ebenfalls, ob die Milliarden für das angebliche Antidrogenprogramm „Plan Colombia“ richtig verwendet würden. Kolumbien ist drittgrößter Empfänger von US-Militärhilfe. Bisher verweigerte der Kongress wegen der prekären Menschenrechtslage die Ratifizierung eines Freihandelsabkommens mit Kolumbien. GERHARD DILGER